Einleitung
Die Bundesrepublik Deutschland ist in Anbetracht eines starken demografischen Wandels von einem überdurchschnittlichen Anstieg von Demenzerkrankungen betroffen. Zeigten Berechnungen für das Jahr 2012 etwa 1,4 Millionen Demenzbetroffene in Deutschland, betrug diese Zahl im Jahr 2019 bereits 1,7 Millionen [
[1]Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. German. https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf.(accessed 08.11.2021).
]. Da jährlich mehr als 300.000 Menschen neu erkranken und die Mortalitätsrate darunter liegt, wächst die Zahl der Demenzerkrankten hierzulande pro Jahr um etwa 40.000. Da es sich bei Demenz um einen dynamischen und progredienten Prozess handelt, kommt es darauf an, die Erkrankung möglichst frühzeitig zu diagnostizieren. Angesichts einer Mehrheit in der Häuslichkeit versorgter Demenzerkrankter ist es zudem entscheidend, ausgehend von einer rechtzeitigen Erkennung die Weichen für eine dauerhaft gelingende Versorgung zu stellen.
Da Allgemeinmediziner*innen oft langjährig mit ihren älteren Patienten vertraut sind und diese regelmäßig in der Sprechstunde vorstellig werden, bestehen im hausärztlichen Setting gute Voraussetzungen, kognitive Veränderungsprozesse rechtzeitig festzustellen [
2- Schers H.J.
- van den Hoogen H.
- Bor H.
- et al.
Familiarity with a GP and patients’ evaluations of care. A cross-sectional study.
,
3- Winter M.H.
- Maaz A.
- Kuhlmey A.
Ambulante und stationäre medizinische Versorgung im Alter Bundesgesundhbl. Gesundheitsforsch.
,
4- Hort J.
- Brien J.T.O.
- Gainotti G.
- et al.
EFNS guidelines for the diagnosis and management of Alzheimer‘s disease.
]. Hausärzt*innen kommt daher bei der sensitiven Identifizierung und Betreuung von demenziellen Erkrankungen eine Schlüsselrolle zu [
5- Boise L.
- Camicioli R.
- Morgan D.L.
- et al.
Diagnosing dementia: perspectives of primary care physicians.
,
6Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). S3-Leitlinie „Demenzen“. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-013l_S3-Demenzen-2016-07.pdf, 2016.(accessed 24.08.2021).
]. Angesichts des dynamischen und progredienten Verlaufs bei der Symptomatik von Demenzerkrankungen, der durch therapeutische und präventive Ansätze verzögert werden kann, betonen etablierte Leitlinien die Bedeutung einer Erkennung im Frühstadium [
7- Laux N.
- Melchinger H.
- Scheurich A.
- et al.
Improving General Practitioners guided dementia care. The pilot project start-modem in Rheinland-Pfalz, Germany.
,
8Demenz: Frühdiagnose und ambulante Versorgung.
]. So ist von großer Bedeutung, ob ab dem Zeitpunkt der Vermutung alltagsrelevanter kognitiver Beeinträchtigung zur Diagnostik motiviert, zum Facharzt oder zur Gedächtnisambulanz überwiesen und/oder selbst Diagnostik durchgeführt wird [
[7]- Laux N.
- Melchinger H.
- Scheurich A.
- et al.
Improving General Practitioners guided dementia care. The pilot project start-modem in Rheinland-Pfalz, Germany.
].
Zu Beginn der Versorgung steht v.a. eine individuelle Identifikation bestehender Versorgungsbedarfe auf Seiten der Menschen mit Demenz an. Darauf basierend erfolgt die Entwicklung eines Versorgungsplans mit individuell bedarfsgerechten Versorgungsangeboten. Auf dieser Grundlage und durch Heranführung Betroffener und Angehöriger an Beratungs- und Hilfsakteure können Hausärzt*innen entscheidend dazu beitragen, den Erhalt einer guten Lebensqualität und häusliche Pflegesettings (präventiv) zu stabilisieren [
6Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). S3-Leitlinie „Demenzen“. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-013l_S3-Demenzen-2016-07.pdf, 2016.(accessed 24.08.2021).
,
9- Geschke K.
- Scheurich A.
- Schermuly I.
- et al.
Effectivity of early psychosocial counselling for family caregivers in general practitioner based dementia care.
,
10- Thyrian J.R.
- Eichler T.
- Michalowsky B.
- et al.
Community-Dwelling People Screened Positive for Dementia in Primary Care: A Comprehensive Multivariate Descriptive Analysis Using Data from the DelpHi-Study.
,
11- Thyrian J.R.
- Fiss T.
- Dreier A.
- et al.
Life- and person-centred help in Mecklenburg-Western Pomerania Germany (DelpHi): study protocol for a randomised controlled trial.
].
Dennoch wird die hausärztliche Versorgung wiederkehrend dafür kritisiert, dass es ihr oftmals nicht gelinge, von Demenz betroffene Patienten frühzeitig zu identifizieren [
12Das Übersehen von Demenzen in der Hausarztpraxis Der Stand der Forschung zu möglichen Einflussfaktoren.
,
13- Pimlott N.J.
- Persaud M.
- Drummond N.
- et al.
Family physicians and dementia in Canada: Part 1 Clinical practice guidelines: awareness, attitudes, and opinions.
,
14- Tilburgs B.
- Vernooij-Dassen M.
- Koopmans R.
- et al.
Barriers and facilitators for GPs in dementia advance care planning: A systematic integrative review.
,
15- van Hout H.
- Vernooij-Dassen M.
- Bakker K.
- et al.
General practitioners on dementia: tasks, practices and obstacles.
]. Moniert wird u.a., dass Hausärzt*innen nicht immer über einen ausreichenden Wissensstand bezüglich Leitlinien und Behandlungsoptionen verfügen [
16- Iliffe S.
- Manthorpe J.
- Eden A.
Sooner or later? Issues in the early diagnosis of dementia in general practice.
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17- Ruof J.
- Mittendorf T.
- Pirk O.
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Diffusion of innovations: treatment of Alzheimer's disease in Germany.
,
18- Yaffe M.J.
- Orzeck P.
- Barylak L.
Family physicians’ perspectives on care of dementia patients and family caregivers.
], bei der Abklärungs- und Ausschlussdiagnostik Defizite aufweisen [
18- Yaffe M.J.
- Orzeck P.
- Barylak L.
Family physicians’ perspectives on care of dementia patients and family caregivers.
,
19- Löppönen M.
- Raiha I.
- Isoaho R.
- et al.
Diagnosing cognitive impairment and dementia in primary health care – a more active approach is needed.
], teils geringe geriatrische Kompetenzen haben [
5- Boise L.
- Camicioli R.
- Morgan D.L.
- et al.
Diagnosing dementia: perspectives of primary care physicians.
,
19- Löppönen M.
- Raiha I.
- Isoaho R.
- et al.
Diagnosing cognitive impairment and dementia in primary health care – a more active approach is needed.
,
20- Connell C.M.
- Boise L.
- Stuckey J.C.
- et al.
Attitudes toward the diagnosis and disclosure of dementia among family caregivers and primary care physicians.
,
21- Stoppe G.
- Knoblauch A.
- Haak S.
- Maeck L.
Die Frühdiagnose der Demenz in der Praxis niedergelassener Ärzte Unterschiede zwischen Haus- und Fachärzten in Deutschland.
] und eine begrenzte Bereitschaft zum konsequenten Einsatz von Demenztests zeigen [
22- Pentzek M.
- Wollny A.
- Wiese B.
- et al.
Apart from nihilism and stigma: What influences general practitioners’ accuracy in identifying incident dementia?.
,
23- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Mattlinger C.
- et al.
Diagnostik und Versorgung der Demenz – eine Herausforderung für die Hausarztmedizin.
,
24- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Jansky M.M.
Hausärztliche Demenzdiagnostik - Einstellungen Vorgehensweisen und Herausforderungen von Hausärzten in Rheinland-Pfalz.
]. Zudem zieht es ein Teil der Hausärzt*innen vor, Menschen mit Demenz möglichst früh zum Facharzt zu überweisen und diesem eine Diagnose zu überlassen [
7- Laux N.
- Melchinger H.
- Scheurich A.
- et al.
Improving General Practitioners guided dementia care. The pilot project start-modem in Rheinland-Pfalz, Germany.
,
23- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Mattlinger C.
- et al.
Diagnostik und Versorgung der Demenz – eine Herausforderung für die Hausarztmedizin.
,
25Rural practitioners’ experiences in dementia diagnosis and treatment.
]. Im internationalen Bereich sind mehrere systematische Reviews vorgelegt worden, die konstatieren, dass es auf Seiten von Hausärzt*innen bei der Demenzversorgung „a lack of training and confidence“ [
[26]- Mansfield E.
- Noble N.
- Sanson-Fisher R.
- et al.
Primary Care Physicians’ Perceived Barriers to Optimal Dementia Care: A Systematic Review.
] sowie geringe Wirksamkeitserwartungen gebe, verstärkt um systembezogene Barrieren, insbesondere „a lack of time during consultations and lack of support services“ [
26- Mansfield E.
- Noble N.
- Sanson-Fisher R.
- et al.
Primary Care Physicians’ Perceived Barriers to Optimal Dementia Care: A Systematic Review.
,
27- Tang E.Y.H.
- Birdi R.
- Robinson L.
Attitudes to diagnosis and management in dementia care: views of future general practitioners.
,
28- Low L.-F.
- McGrath M.
- Swaffer K.
- et al.
Communicating a diagnosis of dementia: A systematic mixed studies review of attitudes and practices of health practitioners.
].
Angesichts der Fixierung bisheriger Studien auf die Erfassung von Defiziten hinsichtlich der diagnostischen Kompetenzen von Hausärzt*innen wurde die Frage vernachlässigt, inwiefern ein wichtiger Grund für die relativ niedrigen Erkennungsraten [
14- Tilburgs B.
- Vernooij-Dassen M.
- Koopmans R.
- et al.
Barriers and facilitators for GPs in dementia advance care planning: A systematic integrative review.
,
21- Stoppe G.
- Knoblauch A.
- Haak S.
- Maeck L.
Die Frühdiagnose der Demenz in der Praxis niedergelassener Ärzte Unterschiede zwischen Haus- und Fachärzten in Deutschland.
,
29- Richter R.
- Wessels T.
- Harfst T.
Bedarfsgerechte psychotherapeutische Versorgung im Alter – Handlungsbedarf und Lösungsansätze.
] in einer zu geringen oder auch ineffizienten Ausschöpfung der personellen Ressourcen in der Hausarztpraxis begründet liegen könnte. Aufgrund der großen Zahl an täglich zu behandelnden Patienten ist es Hausärzt*innen nicht immer möglich, in vollem Umfang auf ältere Patienten sowie ihre Angehörigen einzugehen und sämtliche Warnsignale zu berücksichtigen. Insbesondere das Praxispersonal kann hier zu einer spürbaren Entlastung und Effektivierung beitragen, indem es aktiv in die Erkennung und Diagnostik einbezogen wird [
30Demenz Servicezentrum Nordrhein-Westfalten
,
31- Pentzek M.
- Vollmar H.C.
- Wilm S.
- Leve V.
Putting dementia awareness into general practice: The CADIF approach.
]. Angestellte in Hausarztpraxen sind üblicherweise beständige Mitglieder des hausärztlichen Teams und mit langjährigen Patienten im höheren Lebensalter vertraut, sodass ihnen eventuelle kognitive Veränderungen bei Vorhandensein entsprechenden geriatrischen Wissens auffallen können [
5- Boise L.
- Camicioli R.
- Morgan D.L.
- et al.
Diagnosing dementia: perspectives of primary care physicians.
,
7- Laux N.
- Melchinger H.
- Scheurich A.
- et al.
Improving General Practitioners guided dementia care. The pilot project start-modem in Rheinland-Pfalz, Germany.
,
9- Geschke K.
- Scheurich A.
- Schermuly I.
- et al.
Effectivity of early psychosocial counselling for family caregivers in general practitioner based dementia care.
].
Bis dato fehlt es für den deutschsprachigen Raum an belastbaren Studien, die Voraussetzungen und Prädikatoren für die Qualität und Wirksamkeit der hausärztlichen Demenzversorgung ermitteln [
[32]- Wollny A.
- Fuchs A.
- in der Schmitten J.
- et al.
Zwischen Nähe und Distanz Eine Studie zu hausärztlichen Wahrnehmungsweisen von an Demenz erkrankten Personen.
]. Insbesondere gilt dies für Arbeiten, die erfassen, inwiefern Praxisangestellte in die Demenzerkennung integriert sind und wie sie die eigenen Potenziale beurteilen, zu einer leistungsfähigeren Demenzdiagnostik beizutragen. Drei von den Autoren durchgeführte Untersuchungen liefern Hinweise darauf, dass viele Hausärzt*innen dem eigenen Personal bislang nur eine untergeordnete Rolle bei der Identifizierung von Demenzerkrankten einräumen. So fiel im Rahmen einer explorativen Interviewstudie mit 35 Allgemeinmediziner*innen [
[23]- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Mattlinger C.
- et al.
Diagnostik und Versorgung der Demenz – eine Herausforderung für die Hausarztmedizin.
] auf, dass nur ein kleinerer Teil mit integrativem Rollenverständnis das Praxispersonal in die Demenzerkennung einbindet, z.B. indem in die Kompetenzen der Arzthelfer*innen über regelmäßige Fortbildungen investiert wird. Diese Ärzt*innen arbeiten bei der Ausgestaltung der Früherkennung eng mit ihrem Personal zusammen und messen einem optimierten Praxis- und Qualitätsmanagement große Bedeutung bei.
Eine quantitative Befragung unter 425 Hausärzt*innen in Rheinland-Pfalz [
[24]- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Jansky M.M.
Hausärztliche Demenzdiagnostik - Einstellungen Vorgehensweisen und Herausforderungen von Hausärzten in Rheinland-Pfalz.
] erbrachte, dass eine Minderheit der einbezogenen Ärzt*innen Hinweise auf eine mögliche Demenzerkrankung ihrer Patienten bereits über Mitglieder des Praxispersonals bezogen hat. Auch konnte nur knapp jeder dritte Befragte in der eigenen Praxis auf Angestellte zurückgreifen, die auf dem Gebiet Demenz mindestens eine Fortbildung durchlaufen haben. Damit fehlt vielen Praxisangestellten vermutlich auch professionell vermitteltes Know-how zur Anwendung und Auswertung von Demenztests sowie zu verschiedenen gerontopsychologischen Fragestellungen. Vergleichbare Ergebnisse erbrachte eine deutlich größer angelegte Folgestudie, die sich vertieft mit der demenzbezogenen Diagnostik und Versorgung beschäftigte [
[33]Factors influencing general practitioners’ perception and attitude towards dementia diagnostics and care – Results of a survey among primary care physicians in Germany.
].
Methodik
Erkenntnisinteresse
Die vorzustellende Befragung ist Teil eines mehrteiligen Studiendesigns, welches darauf abzielt, relevante Faktoren zu identifizieren, die die Qualität und Wirksamkeit der hausärztlichen Demenzdiagnostik und -versorgung maßgeblich beeinflussen. Dementsprechend fundiert die vorliegende Studie neben einer Aufarbeitung des Forschungsstandes auf den oben angesprochenen drei Vorstudien [
23- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Mattlinger C.
- et al.
Diagnostik und Versorgung der Demenz – eine Herausforderung für die Hausarztmedizin.
,
24- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Jansky M.M.
Hausärztliche Demenzdiagnostik - Einstellungen Vorgehensweisen und Herausforderungen von Hausärzten in Rheinland-Pfalz.
,
33Factors influencing general practitioners’ perception and attitude towards dementia diagnostics and care – Results of a survey among primary care physicians in Germany.
], bei denen Hausärzt*innen in Deutschland ausführlich zur Demenzdiagnostik und -versorgung befragt wurden. Diese Studien dienten als Ausgangspunkt, um eine auf die Perspektive des hausärztlichen Praxispersonals ausgerichtete Untersuchung systematisch zu entwickeln. Ziel der Studie war es, Aufschluss darüber zu erhalten, inwiefern Hausärzt*innen das nicht-ärztliche Praxispersonal in die Demenzerkennung einbeziehen und welche Erfahrungen Angestellte in diesem Zusammenhang gemacht haben.
Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie bündelt sich in folgenden Fragestellungen:
- •
Inwiefern wird das Praxispersonal in die hausärztliche Demenzerkennung bzw. -diagnostik integriert?
- •
Wie sicher fühlt sich das Praxispersonal, wenn es darum geht, im Praxisalltag auf eine beginnende Demenz bei Patienten aufmerksam zu werden bzw. die entsprechende Diagnostik anzuwenden?
- •
Wie werden die eigenen Potenziale, Möglichkeiten und Fähigkeiten eingeschätzt, einen Beitrag zu einer effizienteren Demenzdiagnostik zu leisten?
- •
Wie sehen die Angestellten ihre bisherige Einbeziehung in die Erkennung und Diagnostik von Demenzerkrankten? Besteht die Bereitschaft, sich stärker einzubringen? Inwieweit nehmen sie Hürden wahr?
Studiendesign
Da beim betrachteten Thema ein Mangel an Studien zu konstatieren ist, besteht Bedarf nach einer breiteren Exploration. Entsprechend fiel die Wahl auf qualitative, halbstandardisierter persönlicher Leitfadeninterviews mit nicht-ärztlichen Praxisangestellten (fokussierte Experteninterviews). Zum einen konnte das Thema so möglichst unvoreingenommen nach neuen Aspekten und Zusammenhängen sondiert werden, zum anderen gibt eine Interviewstudie den Befragten die Möglichkeit, ihre eigenen Standpunkte und Erfahrungen ausführlich darzustellen. Die Datenauswertung erfolgte inhaltsanalytisch, wobei einige Kategorien auch quantitativ ausgewertet wurden.
Die Studie fokussiert auf ein beginnendes bis mittleres Demenzstadium.
Rekrutierung und Sample
Vor dem Hintergrund des qualitativ-explorativen Vorgehens und dem Anspruch, ein breites Meinungsbild zu erhalten, sollte sichergestellt werden, dass die zu befragenden Praxisangestellten in allen 16 Bundesländern in Deutschland vertreten sind. In einem ersten Schritt wurde (mithilfe der Arztfinder-Suchmaschinen der Kassenärztlichen Vereinigungen der einzelnen Bundesländer bzw. Landesärztekammern) ein Pool von potenziellen Kontaktadressen erstellt, der eine große Bandbreite von hausärztlichen Praxen in sämtlichen Bundesländern enthielt. Es wurde vorab festgelegt, dass dieser Pool zwischen 30 und 35 Adressen pro Bundesland beinhalten sollte. Obwohl die Zusammenstellung nicht anhand strenger Kriterien erfolgte, sollte für die Flächenländer gewährleistet sein, dass sämtliche Regierungsbezirke vertreten sind (geografische Streuung), Einzel- und Gemeinschaftspraxen ungefähr zur Hälfte vorkommen sowie urbane und ländliche Praxisumgebungen gleichermaßen vertreten sind. Insgesamt wurden 515 potenzielle Kontaktadressen erstellt.
Jedes Bundesland sollte unabhängig von der Einwohnerzahl gleichermaßen in der Studie repräsentiert sein, um so gerade ländliche und dünner besiedelte Regionen besser abzubilden. Bei der Auswahl der für jedes Bundesland anvisierten Zahl von vier hausärztlichen Praxisangestellten wurde darauf geachtet, dass pro Hausarztpraxis immer nur eine Person des nicht-ärztlichen Praxispersonals rekrutiert wurde. Einschlusskriterium war, dass es sich um Arzthelfer*innen bzw. medizinische Fachangestellte (MFA) handelte. Zudem wurden immer zur Hälfte Einzel- und Gemeinschaftspraxen sowie Personen aus einem ländlich-kleinstädtischen bzw. urbanen Umfeld gewonnen. Nicht zuletzt wurde Wert auf eine möglichst breite geografische Verteilung der Praxen in den einzelnen Bundesländern gelegt.
Insgesamt wurden 83 Hausarztpraxen in ganz Deutschland auf Grundlage der oben dargelegten Überlegungen kontaktiert. Die Kontaktaufnahme erfolgte telefonisch und bezog sich i.d.R. auf die Praxisinhaber*innen. Wurde Interesse an der Teilnahme an der Studie signalisiert, wurden den Praxen schriftliche Studieninformationen zugesandt. Die Praxisinhaber*innen erklärten sich daraufhin bereit, den Forschern eine zu interviewende Person des Praxispersonals nach den oben genannten Kriterien zu vermitteln. Diese wurde dann im Vorfeld des Interviews separat über das Studienthema aufgeklärt und eine Einverständniserklärung vorgelegt. Der Zeitraum der Rekrutierung des Praxispersonals erstreckte sich zwischen März 2020 und April 2021. Letztlich konnten nicht-ärztliche Praxisangestellte aus 64 Praxen gewonnen werden konnten.
Datenerhebung
Nach der Rekrutierung der Stichprobe erfolgte die Durchführung der Studie. Im Vorfeld erhielten die Interviewten eine Aufklärung über das Gesprächsthema sowie eine schriftliche Einverständniserklärung, die u.a. eine strikte Pseudonymisierung der Interviews zusicherte. Die Interviews wurden von den Autoren, bei denen es sich um zwei Wissenschaftler im Bereich der allgemeinmedizinischen Versorgungsforschung handelt, zwischen August 2020 und August 2021 durchgeführt, wobei der Erstautor 42 und der Zweitautor 22 Interviews geführt hat. Die Gespräche erfolgten in 30 Fällen mündlich-persönlich sowie in 34 Fällen telefonisch erfolgten (35 bis 75 Minuten). Die Möglichkeit eines telefonischen Interviews wurde den Interviewten im Zuge der Rekrutierung bewusst als Alternative angeboten. Hintergrund war die Reflexion von Zeitknappheit des hausärztlichen Teams, aber auch die weitläufige geografische Verteilung der Ärzt*innen im Bundesgebiet sowie ein im Zuge der Corona-Pandemie verstärkter Wunsch nach distanzierter Kommunikation. Die Interviews wurden audiotechnisch aufgezeichnet.
Erhebungsinstrument
Den forschungsleitenden Fragestellungen folgend, wurde ein kompakter Leitfaden erstellt (s. Anhang). Dieser wurde im Zuge einer Literaturrecherche sowie insbesondere vor dem Hintergrund der von den Autoren durchgeführten Vorstudien erstellt, deren Schwerpunkt auf hausärztlichen Einstellungen, Handlungsmustern und Kompetenzindikatoren in Bezug auf die Demenzdiagnostik liegt [
23- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Mattlinger C.
- et al.
Diagnostik und Versorgung der Demenz – eine Herausforderung für die Hausarztmedizin.
,
24- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Jansky M.M.
Hausärztliche Demenzdiagnostik - Einstellungen Vorgehensweisen und Herausforderungen von Hausärzten in Rheinland-Pfalz.
,
33Factors influencing general practitioners’ perception and attitude towards dementia diagnostics and care – Results of a survey among primary care physicians in Germany.
]. Prominente Berücksichtigung bei der Leitfadenerstellung erfuhren zudem weitere Arbeiten, die einen Fokus auf die integrierte hausarztbasierte Demenzversorgung legen [
34Primary Care in Patients with Dementia – Reflections Based on Experience from General Practice and on Empirical Findings.
,
35- Radisch J.
- Baumgardt J.
- Touil E.
- et al.
Demenz – Behandlungspfade für die ambulante integrierte Versorgung. Kohlhammer.
]. Eine weitere Spezifizierung des Leitfadens erfolgte im Zuge der ersten Interviews.
Das Instrument umfasst 20 Fragen. Der Aufbau des Leitfadens erfolgte entlang der folgenden Dimensionen: (1) Einbeziehung des Praxispersonals bei der Demenzerkennung bzw. -diagnostik; (2) Subjektive Erfahrungen bzw. erlebte Herausforderungen; (3) Einstellung zur Bedeutung bzw. Wichtigkeit einer Einbeziehung des Praxispersonals; (4) Einschätzung und Bilanzierung der bisherigen Integration in Fragen der Demenzerkennung; (5) Ansätze der Optimierung der Demenzerkennung in der Hausarztpraxis
Die Fragen wurden so gestellt, dass nicht nur die persönliche Einbindung in Fragen der Demenzerkennung ermittelt wurde, sondern dies für andere Kolleg*innen in der Praxis mit erfragt wurde, um ein allgemeines Bild von der Personalintegration zu erhalten.
Datenanalyse
Die theoretische Sättigung wurde erreicht, so dass auf weitere Interviews verzichtet werden konnte. Von theoretischer Sättigung wird in der qualitativen Forschung gesprochen, wenn die Erhebung weiterer Daten und deren Analyse keine neue Aspekte an einer Kategorie oder einem Kategoriensystem und somit keine neuen Erkenntnisse mehr zutage fördert. Dies zeichnete sich im Zuge der zuletzt geführten Interviews ab.
Die im Anschluss an die Datenerhebung erstellten Transkripte wurden vom Erstautor mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring [
[36]Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, 11.
] ausgewertet (Software MAXQDA, Version 2020). Konkret wurde die Form der strukturierenden Inhaltsanalyse ausgewählt, die dazu dient, das Material mit inhaltlichem Interesse unter bestimmten Kriterien zu analysieren. Hierfür wird i.d.R. ein vorher erarbeitetes oder aus einem Teil des Materials extrahiertes Kategoriensystem an das Material herangetragen.
Als Vorbereitung wurden die verschriftlichten Gespräche im Rahmen einer Zusammenfassung auf wesentliche Inhalte reduziert, um das Grundmaterial überblicken zu können. Im Anschluss wurde der Text je nach Bedeutung und Aussagekraft in einzelnen Sätzen oder Absätzen extrahiert, in dem zuvor die Analyseeinheiten bestimmt wurden (Sinnbereich, Interviewcode, Originaltext, Paraphrase, Generalisierung). Ehe die Kategorienbildung erfolgte, wurden die bedeutungstragenden Grundaussagen herausgearbeitet, anschließend weiter abstrahiert und zusammengefasst. Das erstellte Kategoriensystem orientierte sich eng am Leitfaden und wurde mit Fortgang der Auswertung wiederholt geprüft und ggf. modifiziert. Dies bedeutet, dass zunächst die Hauptkategorien deduktiv entwickelt und anhand des Materials weitere (Unter-)Kategorien induktiv erstellt wurden. Im Mittelpunkt stand dabei, die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen logisch zu kategorisieren.
Bei der Datenanalyse wurden die beiden Interviewformen (mündlich-persönlich, telefonisch) nicht differenziert behandelt.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die Datenauswertung inhaltsanalytisch erfolgte, wobei einige Kategorien auch quantitativ ausgewertet wurden. Der Grund hierfür liegt im dargelegten Bestreben, über eine breite, heterogene Stichprobe Hinweise auf eine generelle Einbeziehung des Praxispersonals in die Demenzerkennung zu erhalten.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Bei der vorliegenden Interviewstudie wurden keinerlei sensible Personendaten erhoben oder klinische Tests durchgeführt. Eine Rückversicherung bei der Ethikkommission des Bundeslandes Rheinland-Pfalz ergab, dass ein Ethikvotum nicht erforderlich ist.
Ergebnisse
Beschreibung des Samples
Von den 64 Praxisangestellten sind 32 (50%) in einer Einzel- und 32 (50%) in einer Gemeinschaftspraxis tätig. In 32 Fällen (50%) ist die Praxisumgebung als Landgemeinde oder Kleinstadt (bis 20.000 Einwohner) zu beschreiben, in 32 (50%) als Mittel- oder Großstadt (ab 20.000 Einwohner). 62 (97%) Studienteilnehme sind weiblich, 2 (3%) männlich. Das Durchschnittsalter beträgt 42 Jahre (Standardabweichung: 11,3).
Hauptkategorien
Im Zuge der Auswertung wurden Erkenntnisse zu folgenden Kategorien gefunden: a) Einbeziehung des Praxispersonals bei der Demenzerkennung bzw. -diagnostik (u.a. Regelmäßigkeit, Art und Weise); b) Subjektive Erfahrungen bzw. erlebte Herausforderungen bei der Erkennung von Demenzerkrankten; c) Subjektive Erfahrungen bzw. erlebte Herausforderungen mit der Einbeziehung in die Demenzerkennung bzw. -diagnostik (u.a. Erkennen von Warnsignalen, Sicherheit im Umgang mit Assessment-Instrumenten) d) Modelle der Delegation; Einstellung zur Bedeutung bzw. Wichtigkeit einer Einbeziehung des Praxispersonals; e) Einschätzung der (eigenen) Potenziale bzw. Fähigkeiten des Praxispersonals, die Demenzerkennung im Praxiskontext zu verbessern; f) Bereitschaft zur (verstärkten) Mitwirkung; g) Einschätzung der Bereitschaft des hausärztlichen Vorgesetzten in Bezug auf eine Integration/Schulung des Praxispersonals bzw. Erfahrungen; h) Wahrgenommene Ansätze der Optimierung der Demenzerkennung in der Hausarztpraxis.
Einbeziehung des Praxispersonals bei der Demenzerkennung
Von den 64 interviewten Praxisangestellten geben 40 an, dass weder sie noch andere Praxiskolleg*innen in Prozesse der Demenzerkennung bzw. -diagnostik eingebunden sind. Ebenso wenig wurden sie bislang damit betraut, auf bestimmte Warnsignale bei Patienten (z.B. Vergesslichkeit, Gemüts- und Persönlichkeitsveränderungen, Belastungszustände) zu achten.„Wir haben hier eine sehr klare Hierarchie und geregelte Arbeitsteilung. Das ist ausschließlich Sache des Chefs. […] Wir haben damit keine Berührungspunkte.“ (I-11-w)
Der kleinere Teil des Samples ist bei der (Früh-)Erkennung von Menschen mit Demenz regelmäßig involviert: 24 Befragte insofern, als dass sie und/oder andere Kolleg*innen in der Praxis für Anzeichen einer beginnenden Demenz sensibilisiert sind und dahingehend beobachten (z.B. am Empfang oder an den Arbeitsstationen). 18 Befragte sind zudem vom Hausarzt mit dem Einsatz von Demenztests betraut (i.d.R. Uhrentest, Mini-Mental-Status-Test und/oder DemTect). Aus dieser Gruppe geben 13 Personen an, wenigstens einmal eine Fortbildung besucht zu haben, in der Demenz ein relevantes Thema war. Die übrigen 5 Befragten haben ausschließlich über Lernmittel und die Einarbeitung durch den Hausarzt Kenntnisse über die Anwendung von Demenztests erlangt.
Rund die Hälfte der Mitarbeiter*innen, die selbst in die Demenzerkennung einbezogen sind, geben an, dass das persönliche Interesse am Thema bzw. der eigene Wunsch, sich einzubringen, der ausschlaggebende Grund war, weshalb sie in diesem Einsatzbereich tätig geworden sind. Bei den übrigen Angestellten geschah dies auf Wunsch des Hausarztes.„Mir ist ganz einfach aufgefallen, dass ich hier einsteigen und einen produktiven Beitrag leisten kann. Ich spreche von Entlastung oder auch Ergänzung des Hausarztes. […] Ich bin also auf meinen Vorgesetzten zugegangen und habe darum gebeten, dass ich hier einbezogen werde. Dann habe ich so eine Fortbildung gemacht.“ (I-36-w)
Subjektive Erfahrungen bzw. erlebte Herausforderungen
Die meisten Interviewten verspüren nach eigener Aussage gar keine oder oft nur eine geringe Sicherheit, wenn es darum geht, im Praxisalltag unter Stressbedingungen bei Patienten Hinweise auf eine beginnende Demenz zu erkennen. Als besonders schwierig wird empfunden, eine womöglich schlechte Tagesform oder auch typische Alterserscheinungen von Warnzeichen einer Demenzerkrankung abzugrenzen. Infolgedessen geben zahlreiche Befragte zu, gelegentlich nicht zu wissen, ob sie den Arzt auf beobachtete Verhaltensweisen der Patienten aufmerksam machen oder diese nicht weiter verfolgen sollten.„In meinen Augen besteht ein Problem darin, dass Dinge, die uns bei Patienten auffallen, häufig eher dem Zufall geschuldet sind. Es ist jetzt nicht so, dass wir ein System hätten oder eine Absprache mit dem Arzt, auf welche Zeichen wir genau achten sollen. […] Das ist sicher noch ausbaufähig.“ (I-54-w)
Von den Befragten, die mit dem Einsatz von Demenztests betraut wurden, gibt ein Teil an, sich gelegentlich bei der Anwendung von Demenztests nicht ganz sicher zu fühlen. Als Gründe hierfür werden die Komplexität, nicht immer gegebene Anwendungsnähe, das mehrdeutige Verhalten der Patienten sowie deren Widerstand gegen die Durchführung eines Demenztests angeführt.„Diese Tests sind in der Praxis mit ein paar Schwierigkeiten behaftet. Also, meiner Erfahrung wird so eine Art Testsituation für den Patienten erzeugt, sodass einige Leute nervös und verunsichert reagieren. Dann sind die Fragen nicht immer wirklich nah dran am Alltag der Patienten. Es braucht ein gewisses Fingerspitzengefühl, wie man auf die Menschen mit diesen Tests zugeht, und natürlich muss man sich auch genau mit der Durchführung auskennen.“ (I-18-w)
„Du musst wissen, wie Du mit dem Patienten umgehst. Dass Du ihn während des Tests bei der Stange hältst und ihm das Gefühl gibst, dass er nicht abgestempelt wird, nur weil wir bei ihm mal nach dem Rechten sehen. Viele bekommen es da mit der Angst zu tun oder werden misstrauisch. […] Das ist für mich manchmal schon eine Herausforderung.“ (I-22-w)
Potenziale des Praxispersonals sowie eigener Möglichkeiten und Fähigkeiten
Auffällig ist, dass nur ein geringer Teil der Befragten sich selbst zutraut, eine effektive Unterstützung des Hausarztes bei der Demenz-Früherkennung sowie -diagnostik leisten zu können. Unter den Befragten, die bislang keinerlei entsprechende Aufgaben übernehmen, ist dies eine Minderheit. Allerdings berichten in dieser Gruppe zahlreiche Arzthelfer*innen von einer oder mehreren Situationen, in der sie eher zufällig über ein bestimmtes Auftreten der Patienten stutzig wurden und es durch Weitergabe dieser Information dem Hausarzt ihrer Wahrnehmung nach erleichtert haben, eine Demenzerkrankung rechtzeitig(er) zu identifizieren.„Der Arzt kann einfach nicht überall sein. Und wir können dem Arzt schon einige Arbeit abnehmen, wenn wir wissen, worauf wir achten müssen. […] Der Arzt hat ja schon so genug um die Ohren, und in bestimmten Situationen sind wir halt näher am Patienten dran.“ (I-60-w)
„Wenn ich besser Bescheid gewusst hätte, hätte ich es vielleicht früher erkannt. Immerhin habe ich ja an und für sich sehr viel Kontakt mit den Patienten.“ (I-43-w)
Mehrere Interviewte machen darauf aufmerksam, dass ihrer Ansicht nach viele Patienten vor dem Arzt eher bestrebt wären, Anzeichen einer Demenz zu verstecken, wohingegen sie z.B. an der Rezeption im Umgang mit dem Personal natürlicher und entspannter aufträten. Insofern hätte das Praxispersonal hier „vielleicht einen strategischen Vorteil, so eine Demenz früh zu erkennen“ (I-54-w).
Aufgrund des unmittelbaren Vorgesetztenverhältnisses zum jeweiligen Hausarzt ist zu berücksichtigen, dass die Befragten übermäßig kritische Aussagen vermeiden. Allerdings zeigt sich, dass insbesondere unter Personen, die bislang in keiner Weise in die Demenzerkennung einbezogen sind, durchaus die Ansicht verbreitet ist, unter den richtigen Voraussetzungen etwas in diesem Bereich beitragen zu können.„Wenn er [Vorgesetzter[mir das ermöglichen würde und ich eine entsprechende Fortbildung machen würde, könnte ich mir das schon gut vorstellen. Dass ich da einen Unterschied bewirken könnte.“ (I-5-w)
„Ganz bestimmt hätten wir etwas mehr Schlagkraft, wenn wir diese Demenz-Angelegenheit im Team angehen würden. Wir könnten dann die Köpfe zusammenstecken und überlegen, wer worauf achtet.“ (I-55-w)
Erfahrungen mit Einbeziehung sowie Modelle der Delegation
Befragte, die vom Hausarzt angewiesen wurden, ältere Patienten gezielt auf mögliche Hinweise einer beginnenden Demenzerkrankung hin zu beobachten, berichten von verschiedenen Lösungen. Eine besteht etwa darin, dass bestimmte Arzthelfer*innen vom Hausarzt berechtigt wurden, im Fall von Verhaltensauffälligkeiten bei Patienten einen farblich gekennzeichneten Eintrag in der Patientenakte vorzunehmen.„Bei uns gibt es so eine feste Systematik bei unserem Kontakt mit Patienten. Wenn sich der Patient zum Beispiel anmeldet und einen Termin vereinbart und kommt dann nicht. Oder er bestellt das Rezept zum dritten Mal. Also, das wird dann in der Akte vermerkt.“ (I-21-w)
Eine andere Lösung sind fest eingerichtete Gespräche zu Beginn des Arbeitstages, in denen das Praxispersonal den Vortag Revue passieren lässt und über wahrgenommene Auffälligkeiten bei bestimmten Patienten berichtet. Teilweise haben diese integrierten Arzthelfer*innen auch einen engen Kontakt zu Angehörigen, sodass Rückfragen hier möglich sind.
Bereitschaft des hausärztlichen Vorgesetzten bzw. gemachte Erfahrungen
Der Grund, dass es nicht zu einem Einsatz im Bereich der (Früh-)Erkennung von Demenzerkrankungen kommt, wird neben anderen für den Praxisbetrieb vorrangigen Aufgaben darin gesehen, dass der Hausarzt eine Einbeziehung des Praxispersonals bei der Demenzidentifizierung bzw. -diagnostik nicht für die angemessene Vorgehensweise hält.„Ich glaube, mein Vorgesetzter sieht unsere Aufgabe nicht bei dieser Demenzerkennung.“ (I-5-w)
Mit Blick auf den eigenen Vorgesetzten führt eine Gesprächspartnerin aus:„Er ist da als Einzelkämpfer unterwegs. Das ist sein Feld, das er beackert, und wenn er das so sieht, dann wird das auch seinen Grund haben. […] Nur manchmal denke ich, ist es nicht schlecht, da noch Verstärkung zu haben. Es wären mehr Augen und Ohren, die was mitbekommen, und ich könnte ihn ja auch entlasten. Aber das will er nun mal nicht.“ (I-19-w)
Ein Teil des Samples geht davon aus, dass der hausärztliche Vorgesetzte prinzipiell bereit wäre, Mitgliedern des Personals eine Schulung von Kompetenzen zur zielgerichteten Erkennung und/oder Diagnostik von Demenzerkrankungen zu ermöglichen bzw. vorhandene Kenntnisse im Rahmen einer weiterführenden Schulung zu vertiefen. Allerdings haben die meisten Befragten Zweifel, dass der eigene Vorgesetzte eine solche Fortbildung für besonders sinnvoll und hilfreich für die Demenzversorgung in der eigenen Praxis halten würde.
Optimierungsansätze für die Demenzerkennung in der Hausarztpraxis
Gegen Ende des Interviews wurden die Arzthelfer*innen gefragt, wie die hausärztliche Demenz-Früherkennung verbessert werden könnte. Mehrere Interviewte hielten es für sinnvoll, wenn obligatorisch mindestens eine Person aus der Praxis eine Demenzfortbildung besucht. Auch wurde vorgeschlagen, dass Hausarzt und Praxispersonal enger bei der Betreuung und Beobachtung bestimmter älterer Patienten zusammenarbeiten und gemeinsam z.B. konkrete Indikatoren der Früherkennung erarbeiten, absprechen und in die Praxisroutine überführen.„Vielleicht müssen Ärzte den Mut haben, auch mehr zu delegieren und die Leute dafür auszubilden. Also dass der Arzt nicht so oft allein agiert.“ (I-46-w)
Einzelne Befragte nennen das verstärkte Wechseln der Arbeitsstationen, um eine möglichst große Aufmerksamkeit innerhalb des Praxisgeschehens zu haben.„Ich glaube, das Team lässt sich so organisieren, dass es die Augen eher offen hat. Wenn ich mal an der Rezeption bin, mal im Labor, mal im Untersuchungszimmer oder auch mal Hausbesuche mache, dann werde ich nicht zum Fachidioten.“ (I-13w)
Zudem regen mehrere Interviewte an, dass es einen engeren und organisierten Austausch mit pflegenden oder unterstützenden Personen geben müsse, um Demenzanzeichen über diese rascher zu beziehen. Auch hier könnte ein geschultes Personal von Nutzen sein.
Diskussion
Aus den Interviews mit 64 nicht-ärztlichen Praxisangestellten geht hervor, dass beim hausärztlichen Praxispersonal Bereitschaft und Interesse vorhanden sind, in der Demenzerkennung bzw. -diagnostik eine den Hausarzt unterstützende Rolle einzunehmen. Dieses Potenzial wird jedoch nur von einem Teil der Praxen abgerufen; eine systematische Involvierung von Angestellten erfolgt lediglich bei einem kleineren Teil des Samples. Infolgedessen bekundet eine erhebliche Zahl der Interviewten, bei der Einordnung möglicher Warnsignale, die bei älteren Patienten auffallen, vergleichsweise unsicher zu sein. Damit in Zusammenhang steht, dass nur ein geringer Teil der interviewten Mitarbeiter*innen bereits eine Fortbildung absolviert hat, in der Demenz ein wichtiges Thema war. Oftmals scheint die Identifizierung von Demenzerkrankten über die Praxisangestellten eher nach dem Zufallsprinzip abzulaufen, weniger nach fundierten Kriterien oder Indikatoren, wie sie z.B. von Ratgeberliteratur für Praxispersonal empfohlen werden [
[30]Demenz Servicezentrum Nordrhein-Westfalten
].
Diese Befunde decken sich weitgehend mit dem aus der Fachliteratur bekannten Bild, dass trotz der günstigen Position von Hausärzt*innen, kognitive Veränderungen von Patienten rechtzeitig zu erkennen, vielfältige Vorbehalte und Hürden im hausärztlichen Setting mit Blick auf eine konsequente Demenzdiagnostik bestehen [
12Das Übersehen von Demenzen in der Hausarztpraxis Der Stand der Forschung zu möglichen Einflussfaktoren.
,
32- Wollny A.
- Fuchs A.
- in der Schmitten J.
- et al.
Zwischen Nähe und Distanz Eine Studie zu hausärztlichen Wahrnehmungsweisen von an Demenz erkrankten Personen.
,
37- Kaduszkiewicz H.
- Röntgen I.
- Mossakowski K.K.
- et al.
Tabu und Stigma in der Versorgung von Patienten mit Demenz.
]. Der Umstand, dass im hausärztlichen Versorgungsbereich vergleichsweise selten eine frühzeitige Demenzerkennung einsetzt, hat verschiedenste Gründe [
5- Boise L.
- Camicioli R.
- Morgan D.L.
- et al.
Diagnosing dementia: perspectives of primary care physicians.
,
12Das Übersehen von Demenzen in der Hausarztpraxis Der Stand der Forschung zu möglichen Einflussfaktoren.
,
20- Connell C.M.
- Boise L.
- Stuckey J.C.
- et al.
Attitudes toward the diagnosis and disclosure of dementia among family caregivers and primary care physicians.
,
37- Kaduszkiewicz H.
- Röntgen I.
- Mossakowski K.K.
- et al.
Tabu und Stigma in der Versorgung von Patienten mit Demenz.
]. Eine wesentliche Rolle spielt dabei, dass „die Betreuung der Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichsten Problemen langzeitig unter Kenntnis ihrer individuellen Eigenschaften, Präferenzen und Bedürfnisse“ erfolgt [6: 102]. Zudem bewirken Zeit- und Ressourcenknappheit im Praxisalltag, dass Hausärzte nicht immer in der Weise auf kognitive Defizite bei älteren Patienten achten können, wie dies wünschenswert wäre. Erschwerend kommt hinzu, dass Demenzerkrankte ihre Einbußen oftmals bagatellisieren oder leugnen [
8Demenz: Frühdiagnose und ambulante Versorgung.
,
12Das Übersehen von Demenzen in der Hausarztpraxis Der Stand der Forschung zu möglichen Einflussfaktoren.
].
Wie bereits die durchgeführten Vorstudien der Studienreihe gezeigt haben, wird das hausärztliche Team bislang eher bedingt einbezogen, wenn es darum geht, ältere Patienten zu beobachten und Hinweise auf eine demenzielle Erkrankung zu dokumentieren [
23- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Mattlinger C.
- et al.
Diagnostik und Versorgung der Demenz – eine Herausforderung für die Hausarztmedizin.
,
24- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Jansky M.M.
Hausärztliche Demenzdiagnostik - Einstellungen Vorgehensweisen und Herausforderungen von Hausärzten in Rheinland-Pfalz.
,
33Factors influencing general practitioners’ perception and attitude towards dementia diagnostics and care – Results of a survey among primary care physicians in Germany.
]. Entsprechend selten werden Mitglieder des nicht-ärztlichen Praxispersonals weitergebildet oder beziehen Hausärzt*innen über solche Teammitglieder Hinweise auf mögliche Demenzerkrankungen. Infolgedessen ist die Rolle des Praxispersonals bei der Früherkennung noch vergleichsweise schwach ausgeprägt. Eine weitere Feststellung, die von anderen Arbeiten belegt wird, betrifft eine oftmals nur geringe Systematik bei der Beachtung und Verzeichnung von Warnsignalen. So zeigt eine Arbeit von Krug et al. [
[38]- Krug K.
- Bölter R.
- Ballhauen R.A.
- et al.
Überforderte pflegende Angehörige bei der Versorgung am Lebensende – was bieten Hausarztpraxen zur Entlastung an?.
], bei der es um die Identifizierung und Betreuung pflegender Personen geht, dass es bei den meisten Praxisteams an systematisch-koordinierte Herangehensweisen zur Identifikation von Belastungs- und Veränderungsanzeichen fehlt und stattdessen Auffälligkeiten eher beiläufig-pragmatisch Beachtung finden.
Insgesamt ist die Bedeutung des Praxispersonals bei der Demenzerkennung nicht nur aufgrund des Delegationspotenzials und eines effektivierten Agierens im hausärztlichen Team als hoch bedeutsam einzuschätzen [
[39]- Michalowsky B.
- Henning E.
- Rädke A.
- et al.
Attitudes towards advanced nursing roles in primary dementia care – Results of an observational study in Germany.
]. Da Menschen mit Demenz die Begegnung mit dem Arzt nicht selten als eine Art ‚Prüfungssituation‘ empfinden, in der eine Maskerade zurechtgelegt wird [
22- Pentzek M.
- Wollny A.
- Wiese B.
- et al.
Apart from nihilism and stigma: What influences general practitioners’ accuracy in identifying incident dementia?.
,
37- Kaduszkiewicz H.
- Röntgen I.
- Mossakowski K.K.
- et al.
Tabu und Stigma in der Versorgung von Patienten mit Demenz.
], sind es womöglich gerade die Interaktionen mit dem Praxispersonal, in denen kognitive Einbußen erkennbar werden. Wo eine solche kollaborative Teamlösung gegeben ist, empfinden es auch Hausärzt*innen als deutlich einfacher, Demenzen im Praxisalltag ausfindig zu machen und zu diagnostizieren. Im Zuge einer der quantitativen Hausärztebefragungen konnte etwa gezeigt werden, dass das Vorhandensein demenzgeschulter Praxisangestellter als Einflussfaktor bei der frühzeitigen Erkennung von Demenzerkrankungen wirksam ist [
[33]Factors influencing general practitioners’ perception and attitude towards dementia diagnostics and care – Results of a survey among primary care physicians in Germany.
]. Um die Früherkennung im Sinne der S3-Leitlinie [
[6]Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). S3-Leitlinie „Demenzen“. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-013l_S3-Demenzen-2016-07.pdf, 2016.(accessed 24.08.2021).
] zu stärken und die Erkennungsraten in Allgemeinarztpraxen zu erhöhen, betonen verschiedene Autoren die Bedeutung eines geriatrisch kompetenten, strukturiert integrierten Personals [
9- Geschke K.
- Scheurich A.
- Schermuly I.
- et al.
Effectivity of early psychosocial counselling for family caregivers in general practitioner based dementia care.
,
10- Thyrian J.R.
- Eichler T.
- Michalowsky B.
- et al.
Community-Dwelling People Screened Positive for Dementia in Primary Care: A Comprehensive Multivariate Descriptive Analysis Using Data from the DelpHi-Study.
,
11- Thyrian J.R.
- Fiss T.
- Dreier A.
- et al.
Life- and person-centred help in Mecklenburg-Western Pomerania Germany (DelpHi): study protocol for a randomised controlled trial.
,
12Das Übersehen von Demenzen in der Hausarztpraxis Der Stand der Forschung zu möglichen Einflussfaktoren.
,
32- Wollny A.
- Fuchs A.
- in der Schmitten J.
- et al.
Zwischen Nähe und Distanz Eine Studie zu hausärztlichen Wahrnehmungsweisen von an Demenz erkrankten Personen.
]. Hierzu sind bereits hausarztbasierte Schulungskonzepte für MFAs erarbeitet worden [
[40]- Thoonsen B.
- Vissers K.
- Verhagen S.
- et al.
Training general practitioners in early identification and anticipatory palliative care planning: a randomized controlled trial.
]. Ein Beispiel ist die GeriCoach Qualifikation der Alzheimer Gesellschaft Mecklenburg-Vorpommern [
[41]Deutscher Alzheimer Gesellschaft Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf.(accessed 08.11.2021).
]. Als wichtige Handlungskompetenzen sollten grundsätzlich geriatrisch einschlägiges Wissen (u.a. Symptome beginnender Demenzerkrankungen, Bewusstsein für kognitive Warnsignale), Kommunikation mit Menschen mit Demenz sowie deren Angehörigen, diagnostische Kompetenzen (Demenz-Assessments) sowie vitale Informationen zu professionellen Hilfsakteuren mit Ziel einer Verbesserung der Versorgungs- und Lebenssituation von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen vermittelt werden. Des Weiteren sind Informationen und Anregungen zur Optimierung des Praxisbetriebs sinnvoll, um etwa besondere Aufmerksamkeit für Demenzerkrankte zu schaffen [
38- Krug K.
- Bölter R.
- Ballhauen R.A.
- et al.
Überforderte pflegende Angehörige bei der Versorgung am Lebensende – was bieten Hausarztpraxen zur Entlastung an?.
,
41Deutscher Alzheimer Gesellschaft Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf.(accessed 08.11.2021).
].
Dem Praxismanagement kommt im Zusammenhang mit der Involvierung des Praxispersonals gesonderte Bedeutung zu. Dies betrifft zum einen, dass Voraussetzungen geschaffen werden, unter denen eine Beobachtung Pflegender gut möglich ist (z.B. Rotationsprinzip zwischen Einsatzstationen) [
[23]- Wangler J.
- Fellgiebel A.
- Mattlinger C.
- et al.
Diagnostik und Versorgung der Demenz – eine Herausforderung für die Hausarztmedizin.
]. Zum anderen kommt es auf verbindliche und systematische Arrangements hinsichtlich der Dokumentation von Auffälligkeiten an (z.B. Verweise in der Patientenakte zu pflegenden Tätigkeiten oder Belastungsanzeichen) [
[38]- Krug K.
- Bölter R.
- Ballhauen R.A.
- et al.
Überforderte pflegende Angehörige bei der Versorgung am Lebensende – was bieten Hausarztpraxen zur Entlastung an?.
]. Für Hausärzt*innen kann es daher sinnvoll sein, sich verstärkt mit Fragen des Personal- und Ressourceneinsatzes in der Praxis zu beschäftigen, um die Alltagsbeobachtung älterer Patienten im Praxisgeschehen zu stärken.
Stärken und Schwächen
Qualitative Forschung zielt darauf ab, durch reichhaltige Beschreibungen Sichtweisen und Erfahrungen zu erheben, und durch regelgeleitete Abstraktions- und Interpretationsprozesse verallgemeinern zu können. Diesem Ziel konnte aufgrund des gewählten Ansatzes Rechnung getragen werden. Ein wichtiges Element stellt hierbei die Stichprobenziehung dar, die eine hohe Zahl an Interviews bzw. eine große Breite hausärztlicher Praxen abbildet und insofern als Stärke der Erhebung anzusehen ist. Aufgrund des qualitativen Ansatzes lassen die Ergebnisse keine Aussagen darüber zu, wie häufig und in welchem Ausmaß medizinisches Praxispersonal tatsächlich in die Demenzerkennug eingebunden ist, da nicht von einer statistischen Repräsentativität der Stichprobe für Gesamtdeutschland ausgegangen werden kann.
Ferner weist die qualitative Befragung Limitationen auf, die angemessen zu reflektieren sind. So erfolgte die Datenanalyse der unterschiedlichen Datenerhebungsmethoden nicht voneinander getrennt, was eine methodische Unschärfe bedeutet. Damit zusammenhängend, gibt es einen hohen Anteil telefonischer Interviews im Sample. In der qualitativen Sozialforschung hat sich diese Form des Interviews nicht durchgesetzt [
]. Daher liegen kaum Vergleichsstudien vor, die die Durchführung qualitativer Interviews per Telefon im Hinblick auf die Datenqualität (Tiefe, Ausmaß der sozialen Erwünschtheit, Offenheit usw.) systematisch untersucht haben [
[43]Let's talk about sex!”: über die Eignung von Telefoninterviews in der qualitativen Sozialforschung.
]. Es ist möglich, dass die Auskunftsbereitschaft und das Antwortverhalten der Befragten aufgrund des fernmündlichen Gesprächs beeinflusst wurden. Gerade bei der Zielgruppe der Praxisangestellten als abhängig Beschäftigte, die nicht immer in einem neutralen Umfeld die Interviews gegeben haben, ist dies in besonderer Weise zu berücksichtigen.
Schließlich ist auch das entwickelte Erhebungsinstrument kritisch zu diskutieren. Zum einen lässt eine Befragung von Praxismitarbeiter*innen tatsächliche Vorgänge im realen Praxisalltag offen, zum anderen können die entwickelten Fragestellungen nur allgemeine Hinweise auf die untersuchte Fragestellung der Integration des Praxispersonals bei der Demenzerkennung liefern. Künftige Forschung könnte daher auch über Beobachtungsstudien in der Primärversorgung wertvollen Aufschluss über Defizite bei der Demenzerkennung leisten. Vor allem aber erscheint es sinnvoll, Praxen über multimethodische Herangehensweisen systematisch miteinander zu vergleichen, die im Bereich der Demenzerkennung mehr oder weniger stark engagiert sind (z.B. mit Blick auf Weiterbildungen, verändertes Praxismanagement etc.). So können konkrete Rückschlüsse auf den Mehrwert eines involvierten Praxisteams gezogen und adaptierbare Good Practice-Beispiele aufgezeigt werden [
35- Radisch J.
- Baumgardt J.
- Touil E.
- et al.
Demenz – Behandlungspfade für die ambulante integrierte Versorgung. Kohlhammer.
,
40- Thoonsen B.
- Vissers K.
- Verhagen S.
- et al.
Training general practitioners in early identification and anticipatory palliative care planning: a randomized controlled trial.
].
Schlussfolgerungen
Unter den Bedingungen alltäglicher Zeit- und Ressourcenknappheit in der Hausarztpraxis kann das Praxispersonal für Hausärzt*innen eine wertvolle Unterstützung bei der Identifizierung früher Demenzsymptome sein, indem es im Praxisalltag auf Warnsignale achtet und den Arzt auf solche hinweist. Die Resultate der Studie zeigen beispielsweise, dass selbst bei thematisch ungeschultem Personal bereits Situationen im Praxisalltag vorkamen, in denen Hausärzt*innen erst über Beobachtungen der Angestellten auf (beginnende) Demenzerkrankungen aufmerksam geworden sind.
Viele der interviewten Praxismitarbeiter*innen gehen davon aus, bei Vorliegen einer entsprechenden Weiterbildung und Vorbereitung eine effektive Unterstützung des Hausarztes bei Fragen der Demenzerkennung bzw. des Assessments leisten zu können. Obwohl auch Best Practice-Beispiele identifiziert werden konnten, sind sich viele Allgemeinmediziner*innen jedoch der Chancen, die eine stärkere Einbindung des Praxispersonals offeriert, noch nicht bewusst. Daher sollten Hausärzt*innen stärker für die Vorzüge einer aktiven Förderung und Einbeziehung der Praxisangestellten sensibilisiert werden, um die Demenzerkennung in der eigenen Praxis zu verbessern. Angestellte, die entsprechende Schulungen durchlaufen haben, können Ärzt*innen u.a. effektiv darin unterstützen, Demenzsymptome zu erfassen und Patienten und Angehörige zu stabilisieren.
Auch wäre es sinnvoll, das hausärztliche Bewusstsein für den Wert eines Praxis- und Qualitätsmanagements zu stärken und die Vorteile eines optimierten Personal- und Ressourceneinsatzes zum Zweck der Alltagsbeobachtung von Patienten zu verdeutlichen. Zugleich sollte vermehrt über speziell auf Praxisangestellte zugeschnittene Fortbildungsformate nachgedacht werden, die anwendungsnah und niedrigschwellig demenzspezifische Diagnostik-, Handlungs- und Kommunikationskompetenzen vermitteln. Die zielgerichtete Schulung des Personals bietet nicht zuletzt die Möglichkeit, im Praxisgeschehen gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen Früherkennungsindikatoren zu verankern, die zu einer stärkeren Systematisierung der Demenzerkennung beitragen.
Für die Zukunft erscheint es gewinnbringend, Praxen über multimethodische Herangehensweisen systematisch miteinander zu vergleichen, die im Bereich der Demenzerkennung mehr oder weniger stark engagiert sind. So können konkrete Rückschlüsse auf den Mehrwert eines involvierten Praxisteams bzw. -managements gezogen und, darauf aufbauend, adaptierbare Good Practice-Beispiele aufgezeigt werden, von denen andere hausärztliche Praxen profitieren könnten.
Article info
Publication history
Published online: February 18, 2022
Accepted:
December 19,
2021
Received in revised form:
December 11,
2021
Received:
August 25,
2021
Copyright
© 2022 Published by Elsevier Inc.