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Perspektiven für die Implementierung des Innovationsfondsprojekt GeMuKi: Eine Querschnittserhebung der Einstellungen von Leistungserbringern zu einer präventiven Lebensstilberatung in den Schwangerschafts- und Kindervorsorgeuntersuchungen
Korrespondenzadresse. Laura Lorenz, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie, Gleueler Str. 176-178, 50935 Köln, Deutschland.
Übergewicht und Adipositas sind ein wichtiges Public Health Problem in Deutschland. Aufgrund der guten Erreichbarkeit von Patient*innen bietet das Setting der Arztpraxis ein hohes Potenzial für Prävention. Die bisher zurückhaltende Umsetzung von Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen in Arztpraxen weist allerdings darauf hin, dass Hürden bei der Implementierung bestehen. Die vorliegende Studie beschäftigt sich daher damit, wie Interventionen zur Übergewichtsprävention gestaltet und implementiert werden sollten, damit sie als angemessen wahrgenommen werden und Leistungsbringer bereit sind, diese in ihrem Praxisalltag umzusetzen. Die Untersuchung wird exemplarisch anhand des Innovationsfondsprojektes „GeMuKi“ durchgeführt. Ziel ist es, eine Präventionsmaßnahme im Rahmen der Schwangerschafts- und Kindervorsorgeuntersuchungen zu implementieren.
Methoden
Es wurde eine Mixed-Methods Studie durchgeführt. Die Datenerhebung fand im Rahmen der GeMuKi-Fortbildung statt, die die Leistungserbringer zur Vorbereitung auf die Durchführung der Intervention absolvieren. Frauenärzt*innen, Kinder- und Jugendärzt*innen, Hebammen und Medizinische Fachangestellte füllten hierzu einen Fragebogen aus. Die Fragen betrafen die Implementierungsoutcomes „Angemessenheit“ und „Umsetzungsbereitschaft“. Über Freitextfelder konnten Angaben zu Umsetzbarkeit, erwarteten Erfolgsfaktoren und Hürden gegeben werden. Zudem wurden Beobachtungsprotokolle zu jeder Fortbildung angefertigt. Geschlossene Fragen wurden deskriptiv statistisch ausgewertet. Offene Fragen und Protokolle wurden anhand der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.
Ergebnisse
Es liegen Daten von 401 Leistungserbringern vor. Fast drei Viertel (73%) der Leistungserbringer gibt an, motiviert zu sein, die Präventionsmaßnahme umzusetzen. Gleichzeitig werden Bedenken hinsichtlich der organisatorischen Umsetzbarkeit im Praxisalltag geäußert. Dennoch erwarten 72%, dass sich ihre Beratung durch das Projekt verbessern wird.
Schlussfolgerung
Die befragten Leistungserbringer stehen der Umsetzung einer präventiven Lebensstilberatung im Praxisalltag positiv gegenüber. Durch die Erhebung von Faktoren, die die Implementierung beeinflussen, können identifizierte Hürden adressiert werden.
Abstract
Introduction
Overweight and obesity are major public health concerns in Germany. As patients can easily be accessed via physicians’ offices, this setting provides a high potential for prevention.
However, the limited implementation of prevention and health promotion interventions in physicians’ offices so far indicates that barriers to implementation exist. This study therefore addresses how obesity prevention interventions should be designed and implemented so that health care providers perceive them as appropriate and are willing to adopt them in their daily practice. The study is performed by taking the Innovation Fund project ”GeMuKi“ as an example.
Methods
A mixed-methods study was conducted. Data collection took place within the context of the GeMuKi training session that health care providers complete in preparation for implementing the intervention. Gynecologists, pediatricians, midwives, and medical assistants completed a questionnaire. The questions covered the implementation outcomes “appropriateness” and “adoption”. Text entry fields were used to obtain information on feasibility as well as anticipated facilitating and hindering factors. In addition, observation protocols were prepared for each training session by the project team. The questionnaire was analyzed descriptively. Text entry fields and protocols were evaluated using qualitative content analysis.
Results
Four hundred and one (n = 401) training participants completed the questionnaire. Almost three quarters (73 %) of the health care providers indicate that they are motivated to implement the intervention. At the same time, concerns are expressed about organizational feasibility in everyday practice. Nevertheless, 72 % expect their care to improve as a result of the project.
Conclusion
The health care providers surveyed are positive about the implementation of the project in everyday practice. By documenting concerns about the implementation, the barriers identified can be addressed during the project course.
Übergewicht und Adipositas sind ein wichtiges Public Health Problem in Deutschland. Jeder zweite Erwachsene sowie ca. 15% der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig [
]. Diese Zahlen verdeutlichen eindrucksvoll den Bedarf an wirksamen Maßnahmen zur Prävention in der Bevölkerung. Zur Ergänzung und Erweiterung bereits bestehender Interventionsansätze könnten präventive Beratungen bei Ärzt*innen eine Möglichkeit darstellen, einen möglichst großen Personenkreis mit Präventionsmaßnahmen zu erreichen. Da Arztpraxen über alle sozialen Gruppen hinweg aufgesucht werden, können über diesen Weg entgegen dem häufig beobachteten Präventionsdilemma auch schwer erreichbare Gruppen angesprochen werden [
]. In diesem Zusammenhang stellen insbesondere die Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft sowie im Kleinkindalter eine bisher wenig genutzte Möglichkeit für Präventionsbotschaften dar [
An Underutilized Window of Opportunity to Improve Long-term Maternal and Infant Health-An Appeal for Continuous Family Care and Interdisciplinary Communication.
Studienergebnisse zur perinatalen Programmierung weisen darauf hin, dass das Risiko für Übergewicht und chronische Erkrankungen des Kindes bereits während der Schwangerschaft durch den mütterlichen Lebensstil beeinflusst werden kann [
]. Darüber hinaus gilt die Schwangerschaft als günstige Phase für Lebensstilveränderungen, da in vielen Fällen besondere Motivation zur Verhaltensänderung besteht [
Interventions during pregnancy to reduce excessive gestational weight gain: a systematic review assessing current clinical evidence using the Grading of Recommendations, Assessment Development and Evaluation (GRADE) system.
]. Die Strukturen der Schwangerschaftsvorsorge und Kinderuntersuchungen bieten auch deshalb großes Potenzial für Präventionsmaßnahmen, da neben der bereits angesprochenen günstigen Erreichbarkeit aller sozialen Gruppen, die Häufigkeit der Vorsorgetermine in dieser Lebensphase eine hohe Interventionsfrequenz ermöglicht. Präventive Beratungen zum Lebensstil sind allerdings derzeit nicht Teil der Mutterschaftsrichtlinie und werden daher in der regulären Schwangerenvorsorge nicht standardmäßig durchgeführt [
Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung („Mutterschafts-Richtlinien“) (20.08.2020). Im Internet: https://www.g-ba.de/richtlinien/19/; Stand: 18.03.2021.
Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern (Kinder-Richtlinie) (14.05.2020). Im Internet: https://www.g-ba.de/richtlinien/15/; Stand: 18.03.2021.
Die bisher zurückhaltende Umsetzung von Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen in Arztpraxen weist darauf hin, dass Hürden in der Implementierung bestehen. Nur wenn es gelingt, diese Hürden zu identifizieren und abzubauen, kann das große Potential, das ein Zugang über Arztpraxen für die Prävention von Übergewicht bietet, auch effektiv genutzt werden.
Die vorliegende Studie beschäftigt sich daher damit, wie Interventionen zur Übergewichtsprävention gestaltet und implementiert werden sollten, damit sie als angemessen wahrgenommen werden und Leistungserbringer bereit sind, diese in ihrem Praxisalltag umzusetzen. Die Untersuchung wird exemplarisch anhand des Innovationsfondsprojektes „GeMuKi – Gemeinsam gesund: Vorsorge plus für Mutter und Kind“ durchgeführt.
Hintergrund GeMuKi
Die neue Versorgungsform GeMuKi ergänzt die bereits bestehenden Strukturen der gesetzlichen Vorsorgeuntersuchungen bei niedergelassenen Frauenärzt*innen, Kinder- und Jugendärzt*innen und Hebammen durch individuelle präventive Lebensstilberatungen in den Bereichen Ernährung, Bewegung, Genussmittelkonsum und Stillen [
]. Der primäre Zielparameter der GeMuKi-Studie ist die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, da bekannt ist, dass durch eine exzessive Gewichtszunahme während der Schwangerschaft das Risiko für späteres Übergewicht des Kindes ansteigt [
]. Neben patientenbezogenen Zielen besteht ein weiteres Projektziel in der Stärkung der interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Berufsgruppen, um einen optimal verzahnten Beratungsverlauf zu ermöglichen. Am Projekt teilnehmen können Frauenarztpraxen, Kinder- und Jugendarztpraxen sowie Hebammen in zehn Regionen Baden-Württembergs.
Die Wirksamkeit der GeMuKi-Intervention wird in einer Studie, die über vier Jahre angelegt ist, evaluiert [
Evaluation of a computer-assisted multi-professional intervention to address lifestyle-related risk factors for overweight and obesity in expecting mothers and their infants: protocol for an effectiveness-implementation hybrid study.
BMC Public Health.2020; 20 (doi:10.1186/s12889-020-8200-4): 482
Evaluation of a computer-assisted multi-professional intervention to address lifestyle-related risk factors for overweight and obesity in expecting mothers and their infants: protocol for an effectiveness-implementation hybrid study.
BMC Public Health.2020; 20 (doi:10.1186/s12889-020-8200-4): 482
Die Intervention sieht präventive Beratungen zu elf Zeitpunkten im Verlauf der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr des Kindes vor. Die Beratungsinhalte basieren auf den Präventionsbotschaften des Netzwerks „Gesund ins Leben“ [
]. Die Beratungen werden in Form einer Kurzintervention mit Bausteinen der Methode „Motivational Interviewing“ (MI; Motivierende Gesprächsführung) durchgeführt [
]. MI ist ein patientenzentrierter Beratungsansatz, bei dem durch das Erkunden und Auflösen von Ambivalenzen intrinsische Motivation für eine Verhaltensänderung aufgebaut werden soll [
Zur Vorbereitung auf die Durchführung der Intervention erhalten die beteiligten Leistungserbringer eine eintägige (achtstündige) Fortbildung. In diesen Veranstaltungen werden die Gesprächsmethode MI, die einheitlichen Präventionsbotschaften sowie organisatorische Projektabläufe vermittelt. Eine ausführliche Beschreibung des Fortbildungskonzepts geben Neumann et al. [
Neben der Wirksamkeit wird der Prozess der Implementierung der GeMuKi-Intervention wissenschaftlich begleitet. Implementierung ist definiert als ein aktiver und zielgerichteter Prozess im Zuge dessen potentielle Hürden für die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis identifiziert und diese durch Anreize und organisatorische Änderungen überwunden werden [
] erhoben. Anhand dieser gemeinsamen Erhebung kann untersucht werden, ob eine Intervention in einem bestimmten Setting effektiv implementiert ist und somit in der Praxis wirksam sein kann [
]. Proctor et al. definieren Implementierungsoutcomes als „Effekte absichtlicher und gezielter Handlungen, um neue Behandlungen, Maßnahmen und Dienstleistungen [im Versorgungsalltag] zu implementieren“ [
]). Implementierungsoutcomes erfüllen demnach drei wichtige Funktionen: Sie können als Indikatoren des Implementierungserfolgs genutzt werden, bilden den Implementierungsprozess ab und dienen als wichtiges Zwischenergebnis [
Bereits in der frühen Phase von Projekten können Faktoren identifiziert werden, die die Implementierung beeinflussen. In diesem Stadium des Projekts sind zwei der von Proctor et al. definierten Faktoren besonders relevant: die Angemessenheit der Intervention und die Umsetzungsbereitschaft der Leistungserbringer [
]. Das Implementierungsoutcome Angemessenheit beschreibt „die wahrgenommene Relevanz und Kompatibilität einer Innovation mit dem Praxissetting oder mit einer Situation oder einer Zielgruppe sowie das wahrgenommene Lösungspotential für bestehende Probleme“ [
]. Das Implementierungsoutcome Umsetzungsbereitschaft wird definiert als „die Absicht oder initiale Entscheidung eine Innovation (z.B. eine evidenzbasierte Intervention) zu erproben und anzuwenden, um diese im weiteren Verlauf durch konkrete Handlungen umzusetzen“ [
]. Diese Implementierungsoutcomes können demnach schon in einer frühen Projektphase Aufschluss darüber geben, warum Leistungserbringer eine neue Intervention annehmen oder (teilweise) nicht annehmen. Anhand dieser Erkenntnisse können dementsprechend Implementierungsstrategien und/oder Projektkomponenten angepasst werden.
Die Untersuchung dieser Faktoren in der vorliegenden Studie liefert Hinweise für die Implementierung von Präventionsvorhaben innerhalb der Vorsorgeuntersuchungen. Darüber hinaus zeigt die Untersuchung exemplarisch, wie frühzeitig Chancen und Hürden in der Implementierung von Interventionen identifiziert und adressiert werden können.
Material und Methoden
Als Teil der Prozessevaluation wird eine Untersuchung der wahrgenommenen Angemessenheit und Umsetzungsbereitschaft der Leistungserbringer gegenüber der GeMuKi-Intervention durchgeführt. Die Datenerhebung findet im Rahmen der Fortbildungsveranstaltungen statt, in denen die Leistungserbringer auf die Durchführung der Intervention vorbereitet werden. Alle Hebammen, Frauenärzt*innen, Kinder- und Jugendärzt*innen und zugehörige Medizinische Fachangestellte (MFAs) der niedergelassenen gynäkologischen und pädiatrischen Praxen in den Interventionsregionen werden eingeladen, an der Fortbildung teilzunehmen. Diese ist Voraussetzung, um in der Interventionsgruppe am Projekt teilnehmen zu können. Die Rekrutierung erfolgte über Einladungsbriefe der Kassenärztlichen Vereinigung und der jeweiligen Berufsverbände sowie über zusätzliche persönliche Praxisbesuche von regionalen Studienkoordinatorinnen.
Es wird ein Mixed-Methods-Ansatz verfolgt, bei dem quantitative und qualitative Datenerhebungs- und Datenanalyseverfahren angewandt werden. Die quantitative Erhebung über einen standardisierten Fragebogen wird parallel zu einer qualitativen Erhebung über Freitextfelder und Beobachtungsprotokolle durchgeführt. Damit folgen die Autorinnen des Artikels dem convergent parallel mixed methods design nach Creswell et al. [
], um durch Zusammenführung der Ergebnisse ein tiefergehendes Verständnis des Forschungsgegenstandes zu erhalten.
Fragebogenerhebung
Im Anschluss an die GeMuKi-Fortbildungen werden die teilnehmenden Leistungserbringer gebeten einen zweiseitigen Fragebogen (siehe Appendix A) auszufüllen. Die Fragen sind abgeleitet aus Fragebögen zu Implementierungsoutcomes [
Changes in insurance physicians’ attitudes, self-efficacy, intention, and knowledge and skills regarding the guidelines for depression, following an implementation strategy.
] und Fortbildungsveranstaltungen. Im Bereich der Angemessenheit werden Erwartungshaltungen zur Relevanz, Kompatibilität und dem Lösungspotential der Intervention erfasst. Beispielsweise wird erfragt, ob Leistungserbringer die neu erlernte Gesprächsmethode im Versorgungsalltag für anwendbar halten. Im Bereich Umsetzungsbereitschaft wird die Intention zur Anwendung der gelernten Inhalte in der Praxis erfasst. Hier wird unter anderem erfragt, ob das Praxisteam motiviert ist, die neuen Aufgaben umzusetzen. Die Beantwortung erfolgt über fünffach abgestufte Zustimmungsskalen („stimme voll und ganz zu“ bis „stimme überhaupt nicht zu“). Zudem werden über Freitextfelder weitere Einschätzungen der teilnehmenden Leistungserbringer hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit, Erfolgsfaktoren und Hürden gesammelt.
Beobachtungsprotokolle
Zusätzlich fertigen Mitglieder des Projektteams bei jeder Fortbildung Protokolle an, in denen Beobachtungen zur Gruppendynamik und Atmosphäre sowie Erwartungshaltungen und Meinungen, die die Leistungserbringer im Laufe der Veranstaltung äußern, festgehalten werden. Die Beobachtungen der Fortbildungen liefern weiterführende Hinweise zu Chancen und Hürden für die Implementierung, die die Leistungserbringer in den Fragebögen nicht benannt haben.
Datenanalyse
Geschlossene Fragen des Fragebogens werden deskriptiv statistisch ausgewertet. Es werden prozentuale Zustimmungswerte zu Aussagen in den einzelnen Items berechnet. Die fünfstufige Likert-Skala wird hierfür dichotomisiert („stimme zu“ und „stimme nicht zu“)
Dichotomisierung wie folgt: „Stimme voll und ganz zu“, „Stimme zu“ -> „Stimme zu“; „Stimme überhaupt nicht zu“, Stimme eher nicht zu“, „Teils / teils“ -> „Stimme nicht zu“.
. Die offenen Fragen des Fragebogens und die Beobachtungsprotokolle werden anhand der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse [
] von zwei Wissenschaftlerinnen ausgewertet. Alle Analysen werden in MAXQDA 18 der VERBI GmbH durchgeführt. Dabei wird eine Kombination aus deduktiver und induktiver Kategorienbildung angewendet. Es wird die Technik des konsensuellen Codierens angewendet, bei dem das Material von zwei Personen unabhängig codiert und anschließend in einem iterativen Prozess konsentiert wird [
Es wurden 29 Fortbildungsveranstaltungen im Zeitraum von Januar 2019 bis Juni 2020 durchgeführt, an denen insgesamt 471 Leistungserbringer verschiedener Berufsgruppen teilnahmen (Tabelle 1). Damit konnten 28% der in den Regionen ansässigen Frauenärzt*innen sowie jeweils 14% der in den Regionen ansässigen Hebammen und Kinder- und Jugendärzt*innen erreicht werden. Zu der Grundgesamtheit der MFAs in den Regionen lagen keine Daten vor
Die Grundgesamtheit der in den Regionen ansässigen Leistungserbringer wurde ermittelt auf Basis von Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg und der jeweiligen Berufsverbände. Die Daten wurden durch Recherchen der regionalen Studienkoordinatorinnen geprüft und aktualisiert.
85% der teilnehmenden Leistungserbringer (N = 401) haben den Fragebogen ausgefüllt. Gut der Hälfte der Leistungserbringer (53%) waren die Handlungsempfehlungen des Netzwerks „Gesund ins Leben“ zu Ernährung und Lebensstil in der Schwangerschaft, im Säuglings- und im Kleinkindalter vor der Fortbildung nicht bekannt.
Die Ergebnisse zum Aspekt der Angemessenheit (Abb. 1) zeigen, dass 80% der befragten Leistungserbringer die in der Fortbildung vermittelten Bausteine der Methode MI in ihren Beratungsgesprächen für gut anwendbar halten. Darüber hinaus halten 93% die Interventions-Materialien zur Beratung von Schwangeren und jungen Familien für geeignet. Damit einhergehend erwarten 72%, dass sich ihre Beratung für Schwangere und junge Eltern durch das Projekt verbessern wird. Ebenso viele Leistungserbringer (72%) sind allerdings auch der Meinung, dass einige Patientinnen ihren Lebensstil nicht ändern werden, unabhängig davon, wie mit ihnen kommuniziert wird. Der Aspekt einer verbesserten Zusammenarbeit der Berufsgruppen durch das Projekt wird von 41% kritisch gesehen.
Abbildung 1Ergebnisse der geschlossenen Fragen zu den Implementierungsoutcomes Angemessenheit und Umsetzungsbereitschaft.
Hinsichtlich des Implementierungsoutcomes Umsetzungsbereitschaft (Abb. 1) geben 73% der Leistungserbringer an, dass sie motiviert sind, die Präventionsmaßnahme umzusetzen. Ein ähnlich hoher Anteil (78%) fühlt sich in der Lage, die Kurzintervention im Praxisalltag durchzuführen. 86% der teilnehmenden Leistungserbringer äußern die Absicht, die gelernte Beratungsmethode in ihrer Arbeit anzuwenden. Gleichzeitig äußern 40% Zweifel daran, dass sich die neuen Aufgaben im Praxisalltag so koordinieren lassen, dass die Umsetzung reibungslos verläuft.
Im Freitextbereich des Fragebogens haben 301 Leistungserbringer Einträge vorgenommen. Als primäre Hürde für die Umsetzung wird der organisatorische und zeitliche Mehraufwand im Praxisalltag genannt (N = 92). Hierunter fällt die Einschätzung der Leistungserbringer, dass die regulären Beratungsgespräche durch die Intervention deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen werden. Im Zusammenhang damit wird der Wunsch nach einer höheren Vergütung genannt (N = 13). Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung wird die Rekrutierung von genügend Kolleg*innen in den Regionen herausgestellt (N = 65). Zudem wünschen sich Leistungserbringer insgesamt mehr Informationen zum Lebensstil in der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr (N = 16). Wiederkehrende Fortbildungen zu den erlernten Inhalten werden ebenfalls nachgefragt (N = 6).
Beobachtungsprotokolle
Die Analyse der Beobachtungsprotokolle (N = 29) zeigt, dass bei den Fortbildungen insgesamt eine positive Grundstimmung gegenüber der GeMuKi-Lebenstilintervention herrscht. In Gesprächen bewerten teilnehmende Leistungserbringer die Inhalte der Fortbildung als relevant und äußern sich motiviert, die Intervention im Praxisalltag auszuprobieren. Daher unterzeichnen viele Leistungserbringer direkt im Anschluss an die Fortbildung den Vertrag zum Projekt. Die Umsetzungsbereitschaft zeigt sich zudem darin, dass die Leistungserbringer bei ihren Kolleg*innen in der Region für das Projekt werben möchten.
Die teilnehmenden Leistungserbringer halten vor allem das Thema Ernährung in ihrer Beratung für relevant. Bei den Fortbildungen werden insbesondere Fragen zur vegetarischen und veganen Ernährung (in der Schwangerschaft wie auch im Kindesalter) gestellt. Es wird von einem hohen Informationsbedarf der Schwangeren und jungen Eltern berichtet. Demgegenüber wird kritisch diskutiert, ob es möglich sei, in einer Kurzintervention von circa zehn Minuten überhaupt Zugang zu einer Patientin zu finden und ob in der Kürze der Zeit ausreichend auf Inhalte eingegangen werden kann.
In diesem Zusammenhang stößt die Anwendung der Gesprächsmethode MI vereinzelt auf Skepsis, da einige Leistungserbringer befürchten, dass die Informationsweitergabe zu kurz kommt und sich diese Gesprächsmethode zu sehr von ihren etablierten Beratungsabläufen unterscheidet. Sie befürchten zudem, nicht adäquat auf Fragen der Patient*innen reagieren zu können. Demgegenüber sehen einige Leistungserbringer insbesondere in der Gesprächsmethode eine Chance, einen Zugang zu „aufgeregten“ Patient*innen zu gewinnen, um gemeinsam über Lösungen nachzudenken. Die Gesprächsmethode wird mehrfach als relevant bewertet, da so individuelle Lösungen gefunden werden können und den Patient*innen keine standardisierte Beratung „übergestülpt“ wird. Darüber hinaus besteht der Wunsch nach mehr Übung, um die Gesprächsmethode korrekt umsetzen zu können.
Bezüglich der angestrebten Versorgungskette (Frauenärzt*in – Hebamme – Kinder- und Jugendärzt*in) werden Schwierigkeiten in der Umsetzung gesehen. Das Studienprotokoll sieht vor, dass ausschließlich Frauenärzt*innen Teilnehmerinnen einschreiben. Da in einigen Regionen nur wenige Frauenärzt*innen aktiv am Projekt beteiligt sind, sehen die Kinder- und Jugendärzt*innen eine Teilnahme als nicht sinnvoll an, da so nur sehr wenige GeMuKi-Kinder in ihren Praxen betreut werden können. Zudem kommt mehrfach die Frage auf, ob die Vorsorge in der Frauenarztpraxis der richtige Ort für präventive Beratungen ist, oder ob diese bei anderen Leistungserbringern in der Versorgungskette einfacher umgesetzt werden können.
Wie bereits in den Freitextantworten der Fragebogenerhebung äußern Leistungserbringer Bedenken bezüglich des zusätzlichen Zeitaufwandes für Beratung und Dokumentation. Als weitere Hürden werden parallellaufende Selektivverträge sowie Umstrukturierungen in der Vorsorge thematisiert.
Diskussion
Die Angemessenheit und Umsetzungsbereitschaft der neuen Versorgungsform GeMuKi unter Leistungserbringern zu erfassen ist relevant, um vorhandene Chancen und Hürden bei der Implementierung frühzeitig zu identifizieren. Sollten sich hierbei Problemfelder zeigen, können Anpassungen vorgenommen werden, um die Einführung in die Versorgungspraxis zu erleichtern.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind für zukünftige Forschungsvorhaben in der ambulanten Versorgung bedeutsam:
Die Ergebnisse der Mixed-Methods Untersuchung zeigen, dass die Leistungserbringer der Umsetzung des Projekts im Praxisalltag insgesamt positiv gegenüberstehen. Erfolgsfaktoren werden vor allem in der verbesserten Versorgung der Schwangeren und jungen Eltern gesehen. Dies deckt sich mit Ergebnissen hinsichtlich der Umsetzungsbereitschaft aus anderen Studien, die zeigen, dass Leistungserbringer MI-basiert Interventionen positiv gegenüberstehen und Vorteile vor allem in der verbesserten Kommunikation mit den eigenen Patient*innen sehen [
]. Zudem wurde deutlich, dass die Leistungserbringer tiefergehendes Interesse an einer Verankerung von Präventionsbotschaften in der Regelversorgung haben. Auch in anderen Untersuchungen wurde auf eine hohe Umsetzungsbereitschaft der Ärzt*innen hinsichtlich der Durchführung von Lebensstilberatungen hingewiesen [
]. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass vor der Fortbildung die Mehrzahl der Leistungserbringer die Handlungsempfehlungen des Netzwerks „Gesund ins Leben“ [
Der zusätzliche zeitliche und organisatorische Aufwand wird als größte Hürde empfunden. Der zeitlich straffe Versorgungsalltag lässt wenig Raum für zusätzliche Aufgaben. Dies deckt sich mit der Literatur zur Implementierung von Lebensstilberatungen auf MI Basis, die zeitliche Barrieren als größte Hürde für die Implementierung identifiziert [
Aufgrund der geäußerten Bedenken der Leistungserbringer entwickelt das Projektteam im Verlauf der Feldphase verschiedene Strategien, um den Mehraufwand in der Versorgungspraxis weiter zu minimieren. So unterstützen regionale Studienkoordinatorinnen die Leistungserbringer zusätzlich bei administrativen Projektaufgaben wie der Patientinnenaufklärung und Datendokumentation und bieten telefonischen sowie persönlichen Support an. Durch diese persönliche Betreuung und individuelle Unterstützung soll die Implementierung in den Praxisalltag vor allem in der Anfangsphase gefördert werden. Darüber hinaus wird die Dauer der Fortbildung reduziert, um die zeitlichen Kosten bei der Implementierung der Intervention für die Leistungserbringer zu minimieren. Die zeitliche Reduktion betrifft dabei den projektorganisatorischen Teil (bspw. Dateneingabe in eine digitale Datenplattform) der Fortbildung. Diese Inhalte können in einem separaten Termin der Studienkoordinatorinnen in den Studienpraxen vor Ort effizienter an das Praxisteam vermittelt werden. Es ist zu beachten, dass Aufgaben, wie zum Beispiel das Einholen der Einwilligungserklärung für die Studie, ausschließlich im Rahmen der Evaluation anfallen und bei Implementierung in die Regelversorgung keine Rolle mehr spielen.
Aufgrund der kritischen Rückmeldungen hinsichtlich der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen wurden Strategien entwickelt, um die Umsetzung dieses Projektziels verstärkt zu adressieren. Derzeit besteht zwischen den Berufsgruppen kaum Austausch innerhalb ihrer Landkreise. Daher wurden Vernetzungslisten mit allen teilnehmenden Leistungserbringern ausgegeben. Die Listen wurden durch das Projektteam erstellt und beinhalten eine Auflistung aller Leistungserbringer, die im Projekt eingeschrieben sind. Weiterhin wurde eine Veranstaltung zum gegenseitigen Kennenlernen und Erfahrungsaustausch angeboten. Die Leistungserbringer gaben positives Feedback zu den getroffenen Maßnahmen.
Stärken und Schwächen
Eine Stärke der vorliegenden Studie liegt in der sehr hohen Rücklaufquote (85%).
Es ist daher davon auszugehen, dass die Ergebnisse die Einstellungen der teilnehmenden Leistungserbringer zur Implementierung der GeMuKi-Intervention gut abbilden. Allerdings kann aufgrund der Bereitschaft sich fortzubilden angenommen werden, dass die teilnehmenden Leistungserbringer besonders motiviert sind, präventive Beratung in der Regelversorgung umzusetzen. Demnach stellen die Ergebnisse dieser Studie nicht die Einstellungen aller in der ambulanten Versorgung beteiligten Akteure dar. Eine weitere Stärke liegt im Mixed-Methods-Design der Untersuchung. Die Kombination von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden ermöglicht es, die Fragestellung aus verschiedenen Blickwinkeln zu untersuchen und so ein genaueres Bild zu generieren. Darüber hinaus ist die vorliegende Studie als Teil der Prozessevaluation in die GeMuKi-Studie eingebettet. Die Ergebnisse dieses Artikels sind somit ein Baustein, der im Rahmen weiterer Untersuchungen dazu beiträgt, den Prozess der Implementierung einer komplexen Intervention abzubilden. Eine Limitation stellt das eingesetzte Messinstrument dar. Der in der vorliegenden Studie eingesetzte Fragebogen enthält Items aus verschiedenen Fragebögen zu Implementierungsoutcomes. Der Fragebogen war zudem sehr kurz, Um eine hohe Akzeptanz bei den Befragten zu erzielen, wurde der Fragebogen sehr kurz gehalten. Somit konnten die Konstrukte im Rahmen der Fragebogenerhebung nur mit einem begrenzten Detailgrad erhoben werden.
Schlussfolgerung
Über die Vorsorgeuntersuchungen besteht ein breiter Zugang zu Patient*innen für präventive Botschaften. Unter den Leistungserbringern besteht Interesse an präventiven Beratungen, da Übergewicht und Adipositas im Praxisalltag zunehmend eine Rolle spielen. Wenn Lebensstilthemen in die Vorsorge eingebettet werden sollen, müssen dazu erfolgreiche Strategien entwickelt und erforscht werden. Die Erfassung der Implementierungsoutcomes kann dazu beitragen, Barrieren für die Implementierung zu einem frühen Zeitpunkt zu erkennen und Implementierungsstrategien und Interventionskomponenten dementsprechend anzupassen. Die Erhebung gibt Hinweise darauf, wie Interventionen implementiert werden müssen, damit Leistungserbringer diese gerne und gut umsetzen können.
Nur wenn die identifizierten Hürden überwunden werden können, wird es möglich sein diesem gesundheitsrelevanten Thema in der Vorsorge verstärkt Beachtung zu schenken.
Ethikvotum und Registrierung
Für die GeMuKi-Studie liegt ein positives Ethikvotum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln (ID:18–163) sowie der Ethikkommission der Landesärztekammer Baden-Württemberg (ID: B-F-2018-100) vor. Die Studie wurde am 03.01.2019 beim Deutschen Register Klinischer Studien registriert (DRKS00013173).
Förderung
Das Projekt GeMuKi wird aus Mitteln des Innovationsfonds des G-BA von 10/2017 – 9/2021 im Bereich „Neue Versorgungsformen“ gefördert (Förderkennzeichen: 01NVF17014) und unter Beteiligung folgender Konsortialpartner durchgeführt: Plattform Ernährung und Bewegung, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie am Universitätsklinikum Köln, Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS, BARMER, Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg.
Danksagung
Wir danken allen Frauenärzt*innen, Kinder- und Jugendärzt*innen, Medizinischen Fachangestellten und Hebammen, die mit ihrem wertvollen Feedback zur Weiterentwicklung des GeMuKi-Projekts beitragen. Zudem danken wir Brigitte Neumann und Sonja Eichin für Entwicklung und Durchführung der Fortbildung. Ebenso dankend hervorheben möchten wir Isabel Lück für ihren außerordentlichen Einsatz bei der Vorbereitung und Durchführung der Schulung. Ebenso danken wir den regionalen Studienkoordinatorinnen Andrea Moreira, Elena Tschiltschke, Judith Kuchenbecker, Andrea Seifarth, Denise Torricella und Hilke Friesenborg für den Einsatz bei den Schulungen sowie die Betreuung der Leistungserbringer in den Studienregionen. Zudem möchten wir Herrn Dr. Volker Heinecke vom Berufsverband der Frauenärzte Baden-Württemberg für sein Feedback zum Manuskript danken. Zuletzt danken wir dem gesamten GeMuKi-Konsortium sowie allen Kooperationspartnern für ihre Unterstützung.
Interessenkonflikt
Die Autorinnen erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Autorenschaft
FK und LL haben die Untersuchung konzipiert, die Datenerhebung und -auswertung durchgeführt und das Manuskript geschrieben. AA, FK, FN, LL und SS bilden das Evaluationsteam der GeMuKi Gesamtstudie. AA und SS haben das Evaluationsdesign für die Gesamtstudie konzipiert. DS hat im Rahmen ihrer Bachelorarbeit die Fragebögen digitalisiert und aufbereitet. AMB ist die Projektleitung des Gesamtprojektes (GeMuKi-Konsortialführung).
An Underutilized Window of Opportunity to Improve Long-term Maternal and Infant Health-An Appeal for Continuous Family Care and Interdisciplinary Communication.
Interventions during pregnancy to reduce excessive gestational weight gain: a systematic review assessing current clinical evidence using the Grading of Recommendations, Assessment Development and Evaluation (GRADE) system.
Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung („Mutterschafts-Richtlinien“) (20.08.2020). Im Internet: https://www.g-ba.de/richtlinien/19/; Stand: 18.03.2021.
Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern (Kinder-Richtlinie) (14.05.2020). Im Internet: https://www.g-ba.de/richtlinien/15/; Stand: 18.03.2021.
Evaluation of a computer-assisted multi-professional intervention to address lifestyle-related risk factors for overweight and obesity in expecting mothers and their infants: protocol for an effectiveness-implementation hybrid study.
BMC Public Health.2020; 20 (doi:10.1186/s12889-020-8200-4): 482
Changes in insurance physicians’ attitudes, self-efficacy, intention, and knowledge and skills regarding the guidelines for depression, following an implementation strategy.