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Bildung im Gesundheitswesen / Education In Health Care| Volume 122, P41-47, May 2017

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Entwicklung eines hausärztlich-pharmakologischen Curriculums: Identifizierung und Charakterisierung von hausärztlich relevanten Wirkstoffen mit oraler Applikation

Open AccessPublished:April 05, 2017DOI:https://doi.org/10.1016/j.zefq.2017.02.002

      Zusammenfassung

      Hintergrund

      Hausärzte zählen zu den Facharztgruppen mit den häufigsten Medikamenten-verordnungen. Die Vertiefung pharmakologischer Kenntnisse ist deshalb ein wichtiger Bestandteil der hausärztlichen Fort- und Weiterbildung. Das hausärztliche Selbstverständnis, als erster Ansprechpartner bei allen Gesundheitsproblemen zu helfen, macht es zu einer Herausforderung, Weiterbildungsinhalte zu definieren und zu erwerben. Während das von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin entwickelte „Kompetenzbasierte Curriculum Allgemeinmedizin“ essentielle Diagnosen, Beratungsanlässe und Kompetenzen für die hausärztliche Tätigkeit definiert, fehlt eine solche Orientierung für den pharmakologischen Bereich. Ziel dieser Arbeit ist, Wirkstoffe zu identifizieren und zu charakterisieren, die jeder Hausarzt so gut beherrschen sollte, dass er dazu beraten und Monitoringmaßnahmen einleiten und durchführen kann.

      Methodik

      Es wurden die Verordnungen von Privat- und Kassenrezepten aller am CONTENT-Projekt teilnehmenden Praxen des Zeitraums 2009 bis 2014 analysiert. Die Analyse wurde auf oral applizierbare Wirkstoffe beschränkt, die von mindestens 25% (n=11) der Hausarztpraxen mindestens einmal verordnet wurden. Während die hundert am häufigsten verordneten Wirkstoffe, die bereits über 80% der Gesamtverordnungen ausmachten, aufgrund ihrer Verordnungshäufigkeit eingeschlossen wurden, wurden die weniger häufig verordneten Wirkstoffe in einem Rating-Verfahren zusätzlich nach ihrem Risikopotential und der hausärztlichen Relevanz beurteilt. Die auf dieser Basis eingeschlossenen Wirkstoffe wurden nach Beratungsanlässen/Diagnosen klassifiziert dargestellt.

      Ergebnisse

      Es wurden 1.912.896 Einzelverordnungen auf Basis der anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikation (ATC) aus 44 Hausarztpraxen von 112.535 Patienten analysiert. Nach Anwendung der Einschlusskriterien verblieben 453 Wirkstoffe, von denen 302 Wirkstoffe als hausärztlich-relevant eingeschätzt wurden. Diese konnten 45 Beratungsanlässen/Diagnosen zugeordnet werden.

      Schlussfolgerung

      Das Ergebnis dieser Arbeit kann als Entwicklungsversion eines hausärztlich-pharmakologischen Curriculums gesehen werden und perspektivisch das kompetenzbasierte Curriculum Allgemeinmedizin sinnvoll ergänzen.

      Abstract

      Background

      General practitioners (GPs) are among the specialists who prescribe the highest number of medication. Therefore the improvement of pharmacological competencies is an important part of the GP specialist training. The self-concept of general practice stating that GPs are the first contact persons for all health problems makes it challenging to define and acquire competencies for specialist training. While the “Competence-based Curriculum” developed by the German College of General Practitioners and Family Physicians defines diagnoses, reasons for counselling and competencies which are essential for general practice, a similar orientation guide is lacking for the pharmacological field. The aim of this study is to define and characterize pharmacological substances which every GP should know so well that he or she is able to conduct counselling and monitoring.

      Methods

      We analysed private and public health insurance prescriptions of all general practices participating in the CONTENT project in the period from 2009 to 2014. The analysis was limited to substances with oral application which were prescribed at least once by at least 25 % (n = 11) of the practices. While the 100 most frequent prescriptions were included due to their frequency, less frequently prescribed substances were assessed concerning their relevance for general practice in a rating procedure. The substances included were classified by diagnoses and reasons for counselling.

      Results

      We analysed 1,912,896 prescriptions from 44 practices and 112,535 patients on the basis of the Anatomical Therapeutic Chemical (ATC) classification system. After applying the inclusion criteria, 453 substances were left, 302 of which were considered relevant for general practice and could be assigned to 45 diagnoses / reasons for counselling.

      Conclusions

      The result of this study could be considered a working draft for a pharmacological curriculum for general practice, which may complement the “Competence-based Curriculum” in the medium term.

      Schlüsselwörter

      Keywords

      Einleitung

      Hausärzte sind darauf spezialisiert, bei allen Gesundheitsproblemen als erste ärztliche Ansprechpartner zu helfen. Die medikamentöse Therapie ist dabei eine wichtige Säule der hausärztlichen Versorgung. Allgemeinärzte sind neben Internisten die Facharztgruppe mit den häufigsten Medikamentenverordnungen in Deutschland [
      • Julia Schaufler
      • Telschow C.
      Überblick über die Arzneiverordnungen nach Arztgruppen.
      ]. Aufgrund der Breite des Gebietes verordnen Hausärzte Medikamente aus einer hohen Zahl verschiedener Indikationsgruppen [
      • Julia Schaufler
      • Telschow C.
      Überblick über die Arzneiverordnungen nach Arztgruppen.
      ]. Dem Allgemeinarzt kommt zudem durch seine Funktion als Koordinator im Gesundheitssystem eine Schlüsselrolle beim fachgruppen- und sektorenübergreifenden Medikationsmanagement zu. Dies beinhaltet, die Medikation der betreuten Patienten zu kennen und ggf. anzupassen und notwendige Monitoringmaßnahmen durchzuführen. Auch die Aufklärung und Beratung der Patienten in Bezug auf ihre Medikation sowie die Erfassung und Förderung der Therapietreue sind wichtige Bestandteile der Pharmakotherapie, die vor allen Dingen dem Hausarzt als kontinuierlichem Ansprechpartner in der Langzeitbetreuung chronisch kranker Patienten obliegen [

      Abholz HH, Altiner A, Bahrs O, Baum E, Beyer M, et al. DEGAM Zukunftspositionen. Allgemeinmedizin - spezialisiert auf den ganzen Menschen. Positionen zur Zukunft der Allgemeinmedizin und der hausärztlichen Praxis. http://www.degam.de/files/Inhalte/Degam-Inhalte/Ueber_uns/Positionspapiere/DEGAM_Zukunftspositionen.pdf. (letzter Zugriff 15.12.2016).

      ].
      Medikations- und Monitoringfehler sind im ambulanten Bereich nicht selten [
      • Avery A.J.
      • Ghaleb M.
      • Barber N.
      • Dean Franklin B.
      • Armstrong S.J.
      • Serumaga B.
      • et al.
      The prevalence and nature of prescribing and monitoring errors in English general practice: a retrospective case note review.
      ,
      • Koper D.
      • Kamenski G.
      • Flamm M.
      • Bohmdorfer B.
      • Sonnichsen A.
      Frequency of medication errors in primary care patients with polypharmacy.
      ] und können vermeidbare Hospitalisierungen [
      • Beijer H.J.
      • de Blaey C.J.
      Hospitalisations caused by adverse drug reactions (ADR): a meta-analysis of observational studies.
      ] und unerwünschte Arzneimittelwirkungen nach sich ziehen [
      • Hakkarainen K.M.
      • Hedna K.
      • Petzold M.
      • Hagg S.
      Percentage of patients with preventable adverse drug reactions and preventability of adverse drug reactions--a meta-analysis.
      ]. Auch im Bereich der medikationsbezogenen Arzt-Patienten-Kommunikation sind Defizite gut belegt. In einer Befragung unter 1000 gesetzlich versicherten Patienten ab 65 Jahren konnten sich nur 40% der Befragten erinnern, jemals von ihrem Hausarzt über Nebenwirkungen ihrer Medikamente aufgeklärt worden zu sein [
      • Zok K.
      Einstellungen älterer Menschen zur Arzneimitteltherapie. Ergebnisse einer Umfrage unter 1.000 GKV-Versicherten ab 65 Jahren.
      ].
      Um solchen Defiziten zu begegnen, ist die Verankerung von hausärztlich-relevantem pharmakologischem Wissen in der Fort- und Weiterbildung essentiell. Die Breite des Gebiets macht es jedoch zu einer Herausforderung, Weiterbildungsinhalte zu definieren und zu erwerben. Während mit dem „Kompetenzbasierten Curriculum Allgemeinmedizin“ für die hausärztliche Tätigkeit essentielle Beratungsanlässe, Diagnosen und Kompetenzen definiert wurden [
      • Julia Schaufler
      • Telschow C.
      • Weiss J.
      Ergänzende statistische Übersicht.
      ], fehlt eine solche Orientierung im pharmakologischen Bereich.
      Eine weitere Strategie zur Optimierung der Arzneimitteltherapiesicherheit ist die jährliche Durchführung von strukturierten Arzneimittelgesprächen einschließlich einer kompletten Bestandsaufnahme der Medikation (sog. „Brown Bag Review“) in Verbindung mit einem systematischen „Medikationsreview“ [

      Hausärztliche Leitlinie Multimedikation: Empfehlungen zum Umgang mit Multimedikation bei Erwachsenen und geriatrischen Patienten. http://www.pmvforschungsgruppe.de/pdf/03_publikationen/multimedikation_ll.pdf. (letzter Zugriff: 15.12.2016).

      ,
      • Mahler C.
      • Freund T.
      • Baldauf A.
      • Jank S.
      • Ludt S.
      • Peters-Klimm F.
      • et al.
      Das strukturierte Medikamentenmanagement in der Hausarztpraxis - ein Beitrag zur Förderung der Arzneimitteltherapiesicherheit.
      ]. In Deutschland sind strukturierte Arzneimittelgespräche zwar noch nicht in der Breite implementiert, jedoch halten sie im Rahmen von Modellprojekten bereits Einzug in die hausärztliche Versorgung [
      • Mahler C.
      • Freund T.
      • Baldauf A.
      • Jank S.
      • Ludt S.
      • Peters-Klimm F.
      • et al.
      Das strukturierte Medikamentenmanagement in der Hausarztpraxis - ein Beitrag zur Förderung der Arzneimitteltherapiesicherheit.
      ]. Zu nennen wären hier beispielsweise der geriatrische Betreuungskomplex, der ein systematisches Medikationsreview vorsieht [

      Kassenärztliche Bundesvereinigung. Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment. http://www.kbv.de/tools/ebm/html/03360_2900419522028173008864.html. (letzter Zugriff: 15.12.2016).

      ] oder das PRACMAN-Versorgungskonzept, ein Case-Management für multimorbide Patienten, das in Baden-Württemberg für AOK-Versicherte der hausarztzentrierten Versorgung angeboten wird und als einen Baustein das strukturierte Medikamentenmanagement enthält [

      PRACMAN - Hausarztpraxis-basiertes Case Management. http://www.pracman.org/. (letzter Zugriff: 15.12.2016).

      ].
      Während Konsens besteht, dass das hausärztliche Arzneimittelgespräch einen wertvollen Beitrag zur Betreuung multimorbider Patienten mit Polypharmakotherapie leisten kann, sind die geforderten Inhalte und der erwartete Umfang solcher Gespräche bislang wenig konkretisiert. Publizierte Anleitungen und Checklisten für Arzneimittelgespräche spezifizieren allgemeine Themenbereiche, die angesprochen werden sollten, wie z.B. Indikation, Wirkungsweise, Symptombesserung, unerwünschte Wirkungen, Therapietreue, Einnahmeprobleme, Bedenken bezüglich der Medikation usw. [
      • Mahler C.
      • Freund T.
      • Baldauf A.
      • Jank S.
      • Ludt S.
      • Peters-Klimm F.
      • et al.
      Das strukturierte Medikamentenmanagement in der Hausarztpraxis - ein Beitrag zur Förderung der Arzneimitteltherapiesicherheit.
      ,

      National Health Service Cumbria: Clinical Medication Review - a practice guide. February 2013. http://www.cumbria.nhs.uk/ProfessionalZone/MedicinesManagement/Guidelines/MedicationReview-PracticeGuide2011.pdf. (letzter Zugriff: 15.12.2016).

      ]. Ärzte stehen jedoch vor der Herausforderung, angepasst an die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Patienten (partizipativ) zu entscheiden, welche Information zu welchem Medikament in welchem Umfang vermittelt werden sollen. Auch beim Medikationsreview sind Hausärzte mit einer Fülle von potentiellen unerwünschten Wirkungen, Interaktionen und notwendigen Monitoringmaßnahmen konfrontiert. Für eine praktische Umsetzung dieser Empfehlungen ist also eine begründete Priorisierung, welche Informationen und Maßnahmen essentiell für eine sichere medikamentöse Therapie sind, unumgänglich.
      Ziel dieser Arbeit ist es, die oral applizierbaren Wirkstoffe zu identifizieren, die jeder Hausarzt so gut kennen sollte, dass er ein Arzneimittelgespräch und notwendige Monitoringmaßnahmen durchführen kann. Somit soll eine Grundlage für die Vermittlung vertiefter pharmakologischer Kenntnisse, z.B. im Rahmen der allgemeinmedizinischen Fort- und Weiterbildung geschaffen werden. Perspektivisch könnte diese Analyse in ein hausärztlich-pharmakologisches Curriculum einfließen, welches das kompetenzbasierte Curriculum Allgemeinmedizin der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) sinnvoll ergänzt [
      • Steinhaeuser J.
      • Chenot J.F.
      • Roos M.
      • Ledig T.
      • Joos S.
      Competence-based curriculum development for general practice in Germany: a stepwise peer-based approach instead of reinventing the wheel.
      ].

      Methodik

      Für die Beantwortung der Forschungsfrage wurden Primärdaten aus dem Projekt CONTENT (CONTinuous morbidity registration Epidemiologic NeTwork) der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg analysiert [

      CONTENT - CONTinuous morbidity registration Epidemiologic NeTwork. http://www.content-info.org/. (letzter Zugriff: 15.12.2016).

      ].
      Das CONTENT-Register enthält detaillierte Morbiditäts- und Versorgungsdaten von über 100.000 Patienten in 44 Hausarztpraxen in städtischen und ländlichen Gebieten in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Im Rahmen von CONTENT werden Diagnosen, Verordnungsdaten sowie Ein- und Überweisungen aus den Praxen pseudonymisiert auf einen sicheren Server des Universitätsklinikums Heidelberg übermittelt. Für die vorliegende Arbeit wurden die Verordnungsdaten des CONTENT-Projekts analysiert, die im Gegensatz zu Routinedaten (nach 300 SGB V) zusätzlich zu den GKV-Verordnungen auch Privatverordnungen enthalten. Betrachtet wurden die Verordnungen im Fünfjahreszeitraums vom 01.04.2009 bis 31.03.2014 und somit 1.912.896 erfasste Einzelverordnungen von 112.535 Patienten. Die Einzelverordnungen waren nach dem „Anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikationssystem (ATC)“ [

      Fricke U, Günther J, Niepraschk-von Dollen K, Zawinell A. Anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation mit Tagesdosen für den deutschen Arzneimittelmarkt. Methodik der ATC-Klassifikation und DDD-Festlegung. ATC-Index mit DDD-Angaben des GKV-Arzneimittelindex mit Stand 4/2016. Berlin 2016. http://www.wido.de/arz_atcddd-klassifi.html.

      ] angegeben.
      Die Identifizierung der Wirkstoffe für ein mögliches hausärztlich-pharmakologisches Curriculum erfolgte in 4 Schritten: 1. Ein- und Ausschluss der Wirkstoffe nach ihrer Verordnungshäufigkeit und Applikationsform; 2. Bewertung der Wirkstoffe hinsichtlich ihres Risikopotentials; 3. Bewertung der Wirkstoffe hinsichtlich ihrer hausärztlichen Relevanz; 4. Klassifizierung der Wirkstoffe nach Diagnosen und Beratungsanlässen.
      Die einzelnen Schritte werden im Folgenden näher erläutert:

      Anwendung von Ein- und Ausschlusskriterien

      Vor Beginn der Datenanalyse wurden Ein- und Ausschlusskriterien für „hausärztlich-relevante“ Wirkstoffe festgelegt (siehe Tabelle 1). Eingeschlossen wurden oral anwendbare Wirkstoffe, die von mindestens 25% der Hausarztpraxen mindestens einmal verordnet wurden. Ausgeschlossen wurden Wirkstoffe, die nicht oral applizierbar sind, anhand des ATC-Codes nicht eindeutig identifizierbar waren sowie Wirkstoffe, die vornehmlich im Bereich der Komplementärmedizin eingesetzt werden. Die Aufbereitung der Datenbank erfolgte sowohl computergestützt mit der Software Microsoft Excel 2010 und IBM SPSS Statistics, Version 20, anhand der entsprechenden ATC-Codes als auch mittels manueller Durchsicht.
      Tabelle 1Ausschlusskriterien.
      SubstanzgruppeATC-Code anatomische Gruppe + therapeutische Hauptgruppe
      Ausschluss aufgrund der VerordnungshäufigkeitWirkstoffe, die von weniger als 25% (n=11) Praxen verordnet wurden
      Ausschlusskriterien anhand des ATC-CodesStomatologikaA01
      DermatologikaD
      RhinologikaR01
      Brusteinreibungen und InhalateR04
      Topische Mittel gegen GelenkschmerzM02
      WundverbändeV20
      DiagnostikaV04
      Sonstige nicht therapeutische MittelV07
      KontrastmittelV08
      RadiodiagnostikaV10
      ImpfstoffeJ07
      AnästhetikaN01
      Immunseren und ImmunglobulineJ06
      AllergeneV01
      RadiotherapeutikaV10
      Homöopathika und AnthroposophikaV60
      TonikaA13
      RezepturenV70
      Ausschlusskriterien anhand manueller DurchsichtKeine orale Applikation möglich
      Einsatz vorwiegend im Bereich der Komplementärmedizin
      Wirkstoff anhand des ATC-Codes nicht eindeutig identifizierbar
      Die ATC-Klassifikation ordnet Wirkstoffe nach anatomischen und therapeutischen Eigenschaften. Bestimmte Wirkstoffe haben je nach Indikation mehrere ATC-Codes (z.B. Acetylsalicylsäure als Schmerzmittel und Thrombozytenaggregationshemmer). Die Analyse erfolgte auf Wirkstoffebene, d.h. die Verordnungszahlen identischer Wirkstoffe mit mehreren ATC-Codes wurden zusammengeführt und die Gesamtverordnungszahl des Wirkstoffes betrachtet. Bei Wirkstoffkombinationen wurde die Verordnungshäufigkeit des Kombinationspräparats zur Verordnungshäufigkeit der jeweiligen Einzelwirkstoffe addiert und so die Gesamtverordnungshäufigkeit bestimmt. So wurde beispielsweise Acetylsalicylsäure 30.931 Mal als antithrombotisches Mittel, 1.190 Mal als Analgetikum und 2.222 Mal als Kombinationspräparat verordnet, was zu einer Gesamtverordnungszahl von 34.443 Verordnungen führte. Wirkstoffe, die ausschließlich als Kombinationspräparat und nicht als Einzelwirkstoff verordnet wurden, wurden ebenfalls aufgenommen und die Verordnungszahl des Kombipräparats angegeben. Während die hundert am häufigsten verordneten Wirkstoffe, die bereits über 80% der Gesamtverordnungen ausmachten, allein aufgrund ihrer Verordnungshäufigkeit eingeschlossen wurden, wurden die weniger häufig verordneten Wirkstoffe einem weiteren Bewertungsprozess (Schritt 2 und 3) unterzogen.

      Bewertung der Wirkstoffe hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials

      Die so identifizierten Wirkstoffe wurden durch jeweils zwei der Autoren unabhängig voneinander hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials beurteilt. Hierfür wurden 10 Kriterien formuliert, die sowohl mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Arzneimittelwirkungen verbunden sind als auch typische hausärztliche Monitoringmaßnahmen umfassen (siehe Tabelle 2). An dem Bewertungsprozess waren die Autoren (drei Fachärzte für Allgemeinmedizin, zwei Ärzte in Weiterbildung im fortgeschrittenen Weiterbildungsstadium sowie eine Apothekerin) beteiligt. Die verwendeten Informationsquellen sind in Tabelle 2 dargestellt. Abweichungen in der Einschätzung wurden zwischen den Forschern diskutiert bis eine einvernehmliche Entscheidung getroffen wurde. Durch Addition der einzelnen Kriterien resultierte für jeden Wirkstoff ein Risikoscore.
      Tabelle 2Kriterien für die Bewertung der Wirkstoffe hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials.
      KriteriumHausärztliche MaßnahmenKodieranleitungVerwendete Informationsquellen
      Priscus-ListeMedikationsprüfung1 = Wirkstoff steht auf der PRISCUS-Liste• Priscus-Liste
      • Holt S.
      • Schmiedl S.
      • Thurmann P.A.
      Potentially inappropriate medications in the elderly: the PRISCUS list.
      Interaktionspotential durch Cyt-P450-Metabolismus1 = Wirkstoff ist Substrat, Induktor oder Inhibitor von Cyp P450 und führt dadurch zu klinisch relevanten Interaktionen.• Fachinformation

      • Cytochrome P450 Drug Interaction Table, clinical relevant table

      Flockhart DA. Drug Interactions: Cytochrome P450 Drug Interaction Table. Indiana University School of Medicine (2007). http://medicine.iupui.edu/CLINPHARM/ddis/clinical-table. (letzter Zugriff 15.12.2016).

      QT-VerlängerungEKG-Kontrollen1 = Wirkstoffe führt „definitiv“ oder „möglicherweise“ zu einer QT-Verlängerung.

      Anmerkung: Wirkstoffe, die nicht oder nur „unter bestimmten Bedingungen“ zu einer QT-Verlängerung führen, werden mit 0 kodiert).
      • Fachinformation

      • Crediblemeds QT-Drug-Liste

      Woosley, RL, Heise, CW and Romero, KA, www.CredibleMeds.org, QTdrugs List, AZCERT, Inc. 1822 Innovation Park Dr., Oro Valley, AZ 85755.(letzter Zugriff 15.12.2016).

      Anticholinerges PotentialArzneimittelgespräch

      Aufklärung, z.B. über Fahrtauglichkeit
      1 = Wirkstoffe hat eine anticholinerge Wirkung• Fachinformation

      • Systematischer Review anticholinerger Risikoskalen
      • Duran C.E.
      • Azermai M.
      • Vander Stichele R.H.
      Systematic review of anticholinergic risk scales in older adults.
      Sedierung1 = Wirkstoffe hat als Haupt- oder (sehr) häufige Nebenwirkung einen sedierenden Effekt

      Anmerkung: Treten diese Wirkungen nur gelegentlich oder selten auf, wird eine 0 kodiert. „Müdigkeit“, „Benommenheit“, „Somnolenz“, „Schläfrigkeit“ als unerwünschte Wirkung werden mit „0“ kodiert.
      • Fachinformation
      „Therapeutische Breite“Laborkontrollen1 = Dosierung des Wirkstoffs soll durch einen Laborparameter (Spiegel oder andere Zielgröße) überwacht werden.• Fachinformation
      Niereninsuffizienz (NI)1 = Wirkstoff muss bei NI geringer dosiert werden

      führt (sehr) häufig zu Nierenfunktionsstörungen

      ist bei NI kontraindiziert

      Anmerkung: Mit 0 kodiert werden Hinweise, dass bei NI „allgemein Vorsicht geboten“ ist oder Hinweise zum Prinzip „start low go slow“.
      • Fachinformation

      • www.dosing.de
      Leberinsuffizienz1 = Wirkstoff muss bei Leberinsuffizienz geringer dosiert werden (eindeutige Dosisangabe) ist bei Leberinsuffizienz kontraindiziert führt (sehr) häufig zu Leberfunktionsstörungen erfordert Leberwertkontrollen für alle Patienten bei üblicher Therapiedauer

      Anmerkung: Eine „0“ wird kodiert bei allgemeinen Hinweisen, dass bei Leberinsuffizienz Vorsicht geboten ist oder eine Dosisreduktion notwendig sein könnte.
      • Fachinformation
      Elektrolytverschiebungen1 = Wirkstoff hat Elektrolytverschiebungen als (sehr) häufige UAW ist bei Elektrolytverschiebungen kontraindiziert

      Anmerkung: Elektrolytverschiebung = Hyper-/Hypokaliämie, Hyper-/Hyponatriämie, Hyper-/Hypokalzämie, Hyper-/Hypomagnesiämie
      • Fachinformation
      Blutbildveränderungen1 = Wirkstoff hat Blutbildveränderungen als (sehr) häufige UAW

      erfordert Blutbildkontrollen bei allen Patienten bei üblicher Therapiedauer
      • Fachinformation

      Bewertung der Wirkstoffe hinsichtlich ihrer hausärztlichen Alltagsrelevanz

      In einem weiteren Schritt wurden die Wirkstoffe durch fünf erfahrene und derzeit in einer Praxis tätige Hausärzte (n=3) und Hausärztinnen (n=2) unter Angabe des durch Schritt 2 ermittelten Risikoscores beurteilt. Für jeden Wirkstoff wurde angegeben, ob die HausärztInnen diesen als relevant für ein hausärztlich-pharmakologisches Curriculum einstufen würden, wobei die Kodierung 1 = relevant, 0 = nicht relevant, x = Enthaltung vergeben wurde. Aufgenommen wurden Wirkstoffe die von mindestens 3 Hausärzten als relevant eingestuft wurden. Bei einem unklaren Ergebnis, z.B. durch Enthaltungen, wurde erneut abgestimmt, bis eine eindeutige Entscheidung getroffen wurde.

      Klassifizierung der Wirkstoffe nach Beratungsanlass und Diagnose

      Die nach diesem Prozedere identifizierten Wirkstoffe wurden in Anlehnung an das kompetenzbasierte Curriculum Allgemeinmedizin [
      • Steinhaeuser J.
      • Chenot J.F.
      • Roos M.
      • Ledig T.
      • Joos S.
      Competence-based curriculum development for general practice in Germany: a stepwise peer-based approach instead of reinventing the wheel.
      ] nach Beratungsanlässen und Diagnosen klassifiziert.

      Ergebnisse

      Anzahl und Verordnungshäufigkeit der identifizierten hausärztlich-relevanten Wirkstoffe

      Wie Abbildung 1 zeigt, wurden insgesamt im definierten Zeitraum Wirkstoffe mit 1.910 ATC-Codes verordnet. Nach Anwendung der Ausschlusskriterien verblieben 453 oral applizierbare Wirkstoffe, die von mindestens 25% der Hausarztpraxen mindestens einmal verordnet wurden. Die 100 am häufigsten verordneten Wirkstoffe machten bereits 83,5% der Gesamtverordnungen aus. Diese Wirkstoffe wurden allein aufgrund ihrer Verordnungshäufigkeit aufgenommen. Von den verbleibenden 353 Wirkstoffen wurden 202 von den Hausärzten als relevant für ein hausärztlich-pharmakologisches Curriculum betrachtet und ebenfalls aufgenommen. Die insgesamt 302 Wirkstoffe ließen sich 45 Beratungsanlässen / Diagnosen zuordnen. Diese Klassifikation kann als Entwicklungsversion eines hausärztlich-pharmakologischen Curriculum gesehen werden und ist als Supplement zu dieser Publikation sowie auf den Webseiten der Allgemeinmedizinischen Einrichtungen der Universitätskliniken Heidelberg und Schleswig-Holstein/Campus Lübeck erhältlich.
      Figure thumbnail gr1
      Abbildung 1Schrittweise Identifikation von hausärztlich-relevanten Wirkstoffen

      Gefährdungspotential der verordneten Wirkstoffe

      Tabelle 3 beschreibt die 453 Wirkstoffe, die von mindestens 25% der Praxen verordnet wurden, sowie die 100 häufigsten Wirkstoffe hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials. Insgesamt befanden sich 59 Priscus-Wirkstoffe, 65 QT-verlängernde und 78 anticholinerg wirksame Wirkstoffe unter den Verordnungen. Eine sedierende Wirkung wird in der Fachinformation für 18% (n=83) der Wirkstoffe beschrieben, bei 28 Wirkstoffen wurden unter Therapie zur Dosisfindung regelmäßige Bestimmungen des Plasmaspiegels oder einer anderen Zielgröße empfohlen. Rund 40% (n=178) der Wirkstoffe sind bei Niereninsuffizienz kontraindiziert oder müssen in der Dosis an die Nierenfunktion angepasst werden. Dies ist für 60% (n=108) bei schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min) und für 40% (n=70) bereits bei leicht bis mäßig eingeschränkter Nierenfunktion (GFR > 30 ml/min) der Fall. Bei jedem zweiten Wirkstoff (n=225) ist die Leberfunktion nach den in Tabelle 2 definierten Kriterien relevant. Bei 41% (n=186) der Wirkstoffe besteht ein klinisch relevantes Interaktionspotential durch den Cytochrom-P450-Metabolismus und 21% (n=93) weisen ein Gefährdungspotential durch Blutbildveränderungen auf. Elektrolytverschiebungen sind bei 14% der Wirkstoffe (n=62) häufig.
      Tabelle 3Gefährdungspotential der hausärztlich-relevanten Wirkstoffe.
      Kriterium
      Erläuterung der Kriterien siehe Tabelle 2. Diese Auflistung wurde im Konsensverfahren von 2 Forschern basierend auf der Fachinformation und teils weiteren Quellen erstellt. Wenngleich die Erarbeitung mit größter Sorgfalt erfolgte, geben die Autoren keine Gewähr. Der Anwender bleibt verantwortlich für jede therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.
      Alle 453 Wirkstoffe100 häufigste Wirkstoffe
      % (n)% (n)Wirkstoffe
      Priscus-Wirkstoffe13,0 (59)10,0 (10)Zopiclon, Zolpidem, Amitryptilin, Doxepin, Etoricoxib, Digoxin, Lorazepam, Bromazepam, Dimenhydrinat, Trimipramin
      QT-Verlängerung14,3 (65)9,0 (9)Citalopram, Clarithromycin, Ciprofloxacin,

      Pregabalin, Mirtazapin, Levofloxazin, Azithromycin, Melperon, Trimipramin
      Anticholinerge Wirkung17,3 (78)13,0 (13)Oxycodon, Tramadol, Amitryptilin, Dihydrocodein, Codein, Doxepin, Loperamid, Digitoxin, Cetirizin, Dimenhydrinat, Trimipramin, Citalopram, Mirtazapin
      Sedierung18,1 (82)18,0 (18)Metoclopramid, Oxycodon, Zopiclon, Zolpidem, Flupirtin, Amitryptilin, Pregabalin, Dihydrocodein, Codein, Opipramol, Mirtazapin, Doxepin, Oxazepam, Melperon, Lorazepam, Bromazepam, Dimenhydrinat, Trimipramin
      „Therapeutische Breite“6,2 (28)8,0 (8)L-Thyroxin, Vitamin-D-Präparate, Calciumpräparate, Phenprocoumon, Eisenpräparate, Digoxin, Digitoxin, Kaliumpräparate
      Kontraindikation/Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz39,7 (178)46,0 (44)Dosisanpassung/Kontraindikation bei GFR > 30ml/min: Ramipril, Metformin, Metoclopramid, Vitamin D, Lisinopril, Gabapentin, Ciprofloxacin, Pregabalin, Olmesartan, Mirtazapin, Cefpodoxim, Levofloxazin, Moxonidin, Digoxin, Sitagliptin, Kalium, Alendronat, Cetririzin, Captopril
      Blutbildveränderungen20,5 (93)19,0 (19)Ibuprofen, Metamizol, Diclofenac, Prednisolon, Losartan, Gabapentin, Amitriptylin, Carvedilol, Opipramol, Trimethoprim, Glimepirid, Eisenpräparate, Doxepin, Oxazepam, Melperon, Dexamethason, Naproxen, Levodopa, Trimipramin
      Elektrolytverschiebungen13,7 (62)19,0 (19)Ramipril, HCT, Pantoprazol, Omeprazol, Torasemid, Enalapril, Vitamin D, Prednisolon, Furosemid, Losartan, Calcium, Spironolacton, Digoxin, Triamteren, Kalium, Digitoxin, Alendronat, Esomeprazol, Dexamethason
      Leberinsuffizienz49,7 (225)46,0 (46)-
      Cyt-P450-Metabolismus41,1 (186)44,0 (44)-
      * Erläuterung der Kriterien siehe Tabelle 2. Diese Auflistung wurde im Konsensverfahren von 2 Forschern basierend auf der Fachinformation und teils weiteren Quellen erstellt. Wenngleich die Erarbeitung mit größter Sorgfalt erfolgte, geben die Autoren keine Gewähr. Der Anwender bleibt verantwortlich für jede therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

      Diskussion

      Basierend auf einer Analyse von Verordnungsdaten aus dem CONTENT-Projekt wurden für die hausärztliche Praxis relevante Wirkstoffe identifiziert, hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials charakterisiert und schließlich nach Beratungsanlässen und Diagnosen kategorisiert. Das Ergebnis kann als Entwicklungsversion eines hausärztlich-pharmakologischen Curriculums verstanden werden, das nach weiterer Evaluation und Überarbeitung das „Kompetenzbasierte Curriculum Allgemeinmedizin“ der DEGAM [
      • Steinhaeuser J.
      • Chenot J.F.
      • Roos M.
      • Ledig T.
      • Joos S.
      Competence-based curriculum development for general practice in Germany: a stepwise peer-based approach instead of reinventing the wheel.
      ] sinnvoll ergänzen könnte.
      Es zeigte sich, dass die hundert am häufigsten verordneten oralen Wirkstoffe bereits über 80% der hausärztlich relevanten Verordnungen abdecken. Ein Ansatz für ein hausärztlich-pharmakologisches Curriculum könnte daher sein, mit „TOP-Listen“ zu arbeiten und pharmakologische Information für sehr häufige Wirkstoffe aufzubereiten [

      Smollich M, Scheel M. Arzneistoffe - Die TOP 100. Der Pharmako-Guide. Schattauer GmbH, Stuttgart, 2015.

      ]. Allerdings ergab unsere Analyse weitere 353 Wirkstoffe, die von mindestens 25% der Praxen verordnet wurden und von denen über die Hälfte von erfahrenen Hausärzten als relevant für ein hausärztlich-pharmakologisches Curriculum eingeschätzt wurden.
      Dies zeigt erneut, dass Hausärzte mit einer Vielzahl von Medikamenten umgehen und daher über ein breites pharmakologisches Wissen verfügen müssen. Dies gilt insbesondere, da wie in Tabelle 3 gezeigt, bei einem beträchtlichen Anteil der Wirkstoffe Risikofaktoren bestehen, die hausärztliche Monitoringmaßnahmen oder eine gründliche Aufklärung der Patienten notwendig machen. So ist bei 40% der verordneten Wirkstoffe bereits bei einer leichten bis mäßigen Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung erforderlich. Patienten zwischen 18-79 Jahren weisen zu 2,3% eine GFR > 60 ml/min auf, mit erwartungsgemäß steigender Prävalenz im Alter [
      • Girndt M.
      • Trocchi P.
      • Scheidt-Nave C.
      • Markau S.
      • Stang A.
      The Prevalence of Renal Failure.
      ]. Dosierungsfehler aufgrund von Niereninsuffizienz zählen zu den häufigsten Ursachen von vermeidbaren unerwünschten Arzneimittelwirkungen [
      • Avery A.J.
      • Ghaleb M.
      • Barber N.
      • Dean Franklin B.
      • Armstrong S.J.
      • Serumaga B.
      • et al.
      The prevalence and nature of prescribing and monitoring errors in English general practice: a retrospective case note review.
      ].
      Aus diesem Grund wurden neben den 100 am häufigsten verordneten Wirkstoffen weitere eingeschlossen, die von den teilnehmenden Hausärzten als relevant für den hausärztlichen Alltag erachtet wurden.
      Die Stärke dieser Arbeit besteht darin, dass vier für die Allgemeinmedizin wesentliche Kriterien in die Analyse mit einflossen: die Verordnungshäufigkeit, das Gefährdungspotential, die klinische Expertise erfahrener Hausärzte sowie die Darstellung nach Beratungsanlässen zur Abbildung des hausärztlichen Alltags. Die analysierten Verordnungsdaten stammten ausschließlich aus dem hausärztlichen Setting und beinhalteten im Gegensatz zu Routinedaten der Krankenkassen sowohl Privat- als auch Kassenverordnungen. Allerdings wurden somit nicht alle auf dem deutschen Markt befindlichen Wirkstoffe betrachtet und im Vergleich zur Verwendung von Routinedaten wurden die Verordnungen von einer relativ kleinen Anzahl von Praxen ausgewertet, so dass die Analyse keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, sondern lediglich eine begründete Priorisierung relevanter Wirkstoffe für den hausärztlichen Bereich darstellt.
      Ein Abgleich mit den Verordnungsdaten des Arzneimittelreports 2016 des wissenschaftlichen Instituts der AOK untermauert allerdings die Plausibilität der Analyse. So sind die 10 am häufigsten verordneten Wirkstoffe des Arzneimittelreports identisch mit den 10 häufigsten Wirkstoffen unserer Analyse [
      • Julia Schaufler
      • Telschow C.
      • Weiss J.
      Ergänzende statistische Übersicht.
      ].
      Bei der Bewertung der Wirkstoffe hinsichtlich ihres Gefahrenpotentials wurden 10 Kriterien ausgewählt, die zu gefährlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen führen können und die hausärztliche Monitoringmaßnahmen umfassen. Es existieren jedoch weitere Risikofaktoren, die im Rahmen dieser Analyse nicht betrachtet wurden, wie z.B. die Abhängigkeit bestimmter Pharmaka vom Geschlecht [
      • Thurmann P.A.
      Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik und -dynamik von Arzneimitteln.
      ] oder der Ethnie [
      • Ogedegbe G.
      • Shah N.R.
      • Phillips C.
      • Goldfeld K.
      • Roy J.
      • Guo Y.
      • et al.
      Comparative Effectiveness of Angiotensin-Converting Enzyme Inhibitor-Based Treatment on Cardiovascular Outcomes in Hypertensive Blacks Versus Whites.
      ] des Patienten oder das Potential für schwerwiegende Anwendungsfehler. Eine weitere Limitation ist auch mit den verwendeten Informationsquellen verbunden. So stimmen die Fachinformationen verschiedener Hersteller nicht immer völlig überein und auch die klinische Relevanz der in der Fachinformation angegebenen Häufigkeiten ist zu hinterfragen [
      • Ziegler A.
      • Hadlak A.
      • Mehlbeer S.
      • Konig I.R.
      Comprehension of the description of side effects in drug information leaflets: a survey of doctors, pharmacists and lawyers.
      ]. Deshalb wurde wenn möglich eine zweite Datenquelle herangezogen.
      Die Analyse beschränkt sich auf oral applizierbare sowie in der Schulmedizin verwendete Wirkstoffe. Wirkstoffe mit anderen Applikationsformen (topisch, transdermal, parenteral, inhalativ, Suppositorien) sowie Phytotherapeutika und Homöopathika wurden ausgeschlossen, obwohl sie für die hausärztliche Behandlung gleichermaßen von Bedeutung sein können bzw. eine hohe Verbreitung haben. Aufgrund der Besonderheiten der Therapieprinzipien und den andersartigen Risikofaktoren (beispielsweise können bei anderen Applikationsformen eher Anwendungsfehler im Vordergrund stehen) werden diese Substanzklassen separat analysiert werden.
      Weitere Schritte zur Entwicklung eines hausärztlich-pharmakologischen Curriculums sollten einen Praxistest und eine anschließende Ergänzung / Kürzung von Wirkstoffen beinhalten. Zudem sollte ein begleitender Leitfaden ausgearbeitet werden, der essentielle Informationen zu den Wirkstoffgruppen unter Berücksichtigung von Differenzen zwischen den Einzelsubstanzen bereitstellt. Diese sollten patientenzentriert (Leitfrage: was muss der Patient zu diesem Medikament wissen?) und handlungsorientiert (Leitfrage: welche Maßnahmen muss der Arzt bei der Verordnung dieses Wirkstoffs ergreifen?) dargestellt werden.

      Schlussfolgerung

      Mit dem Ergebnis dieser Arbeit wird eine Basis für die Entwicklung von Fortbildungsmodulen zur hausärztlichen Pharmakotherapie geschaffen und eine Entwicklungsversion eines hausärztlich-pharmakologischen Curriculums bereitgestellt. Dieses sollte patienten- und handlungsorientiert gestaltet sein und sich sowohl auf die hundert am häufigsten verordneten Wirkstoffe konzentrieren, die bereits über 80% aller Verordnungen abdecken, als auch seltener verordnete Wirkstoffe mit besonderem Gefahrenpotential berücksichtigen.

      Erklärungen

      Funding: Diese Studie wurde ohne spezielle finanzielle Förderung von öffentlichen, kommerziellen oder not-for-profit Einrichtungen durchgeführt.

      Interessenskonflikte

      Alle Autoren erklären, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.

      Danksagung

      Wir danken allen am CONTENT-Projekt teilnehmenden Hausarztpraxen.

      Appendix A. Zusätzliche Daten

      Literatur

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