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Welche häufig in der Allgemeinmedizin durchgeführten Prozeduren beherrschen Ärzte in Weiterbildung in ihrer Selbsteinschätzung bereits nach dem Studium? - eine Querschnittstudie
Ziel der ärztlichen Ausbildung ist der zur eigenverantwortlichen und selbständigen ärztlichen Berufsausübung befähigte Arzt. Die hierfür zu erreichenden Kompetenzen sind im 2015 verabschiedeten Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin in ihrer Tiefe beschrieben worden. Ziel der Studie war es zu erheben, in welchem Ausmaß junge Ärzte in der Selbsteinschätzung Prozeduren, die häufig in der allgemeinmedizinischen Praxis durchgeführt werden, bereits im Studium erlernt haben.
Methodik
Ein Fragebogen mit 17 Prozeduren wurde an 328 Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin im Rahmen von Schulungsveranstaltungen der Verbundweiterbildungplus in Baden-Württemberg ausgegeben. Die Teilnehmer konnten angeben, wie selbstständig sie die jeweilige Prozedur durchführen können (von „Kann ich nicht“, „Kann ich, wenn ich direkte Supervision habe“, „Kann ich, wenn ich bei Bedarf Supervision habe“ bis „Kann ich selbständig durchführen“ bzw. „Kann ich jemand anderem beibringen“). In den Fällen, in denen sie die Prozedur ohne Supervision beherrschten, wurde erfragt, wann sie diese Kompetenz erreicht hatten. Die Daten wurden rein deskriptiv ausgewertet.
Ergebnisse
196 Ärzte in Weiterbildung (59,8%) nahmen an der Befragung teil. Sie waren durchschnittlich 35 Jahre alt, 71% der Teilnehmer weiblich. Für fünf der 17 Prozeduren schätzte sich mindestens die Hälfte der Teilnehmer als „Kann ich selbständig durchführen“ oder besser ein. Die „Ohrenspiegelung“ ist die Prozedur, die angegeben wurde, am häufigsten (52,5%) bereits während des Studiums erlernt worden zu sein. „Wunde nähen“ und „Maskenbeatmung“ nahmen mit jeweils rund 42% die Plätze zwei und drei ein.
Schlussfolgerungen
Mehrheitlich werden häufige Prozeduren der Allgemeinmedizin nicht selbstständig beherrscht. Dies deutet darauf hin, dass diese während des Studiums nicht (ausreichend) vermittelt werden. Für die Zeit nach dem Studium wird dadurch die Notwendigkeit einer strukturierten, supervidierten Weiterbildung deutlich.
Abstract
Background
Medical education is intended to enable students to become a physician who can practise the profession of medicine on his own authority, responsibility and accountability. In 2015, the competencies required to accomplish this have been described in the National Competency-based Catalogue of Learning Objectives Medicine.
The aim of this study was to survey the extent to which the respective medical procedures were learned during medical school. Postgraduate trainees were asked to self-assess their level of proficiency in carrying out procedures commonly performed in family medicine.
Methods
A questionnaire involving 17 procedures was distributed among 328 postgraduate trainees in family medicine attending training sessions in Baden-Wuerttemberg. Participants could assess the extent to which they were able to independently perform each procedure (ranging from “not able to do it”, “able to do it under direct supervision”, “able to do it if supervision is provided upon request” to “able to do it on my own”, and “able to provide supervision to others” respectively). Respondents that were able to perform procedures without the need for supervision were asked to indicate when they acquired the competency. Data were analysed descriptively.
Results
A total of 196 postgraduate trainees (59.8%) completed the questionnaire. The average age was 35 years, 71 % of the participants were female. For five out of 17 procedures at least half of the participants regarded themselves as being “able to do it on my own” or “able to provide supervision to others”. The procedure that was most often (52.5 %) named as having been learned in medical school was “otoscopy”, followed by “wound suturing” and “mask ventilation” (42%).
Conclusions
Following graduation, GP trainees are unable to independently perform the majority of common procedures in family medicine. This indicates that insufficient proficiency in procedural skills is provided in undergraduate medical education, revealing the need for structured, supervised specialty training following graduation.
„Ziel der ärztlichen Ausbildung ist der wissenschaftlich und praktisch in der Medizin ausgebildete Arzt, der zur eigenverantwortlichen und selbständigen ärztlichen Berufsausübung, zur Weiterbildung und zu ständiger Fortbildung befähigt ist [
].“ Mit der letzten Neufassung der Approbationsordnung vom 27. Juni 2002 rückten praktische Kompetenzen und damit auch die Vermittlung praktischer Fertigkeiten weiter in den Vordergrund der medizinischen Ausbildung durch die deutschen Fakultäten [
Passend dazu veröffentlichte der GMA-Ausschuss (Gesellschaft für medizinische Ausbildung) für praktische Fertigkeiten 2011 ein Konsensusstatement „Praktische Fertigkeiten im Medizinstudium“, welches 289 verschiedene Lernziele definiert. Sie können als Anhaltspunkt dienen, die Lehre an den medizinischen Fakultäten entsprechend auszurichten [
]. Diese Vorarbeit floss auch in die Entwicklung des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin (NKLM) ein, der am 4. Juni 2015 auf der Mitgliederversammlung des 76. Ordentlichen Medizinischen Fakultätentages (MFT) verabschiedet wurde [
Finally finished! National Competence Based Catalogues of Learning Objectives for Undergraduate Medical Education (NKLM) and Dental Education (NKLZ) ready for trial.
]. In diesem werden 92 klinisch-praktische Fertigkeiten in einem eigenen Kapitel beschrieben, die im Laufe des Studiums in unterschiedlicher Ausprägung vermittelt werden sollen [
Trotz dieser Entwicklungen ist weitestgehend unklar, inwiefern Ärzte in Weiterbildung (ÄiW) in den Anfangsjahren ihrer Tätigkeit diese praktischen Fertigkeiten bereits eigenverantwortlich und selbständig ausüben können. Auch gibt es bisher keine Daten aus Deutschland, wie ÄiW ihre eigenen Fähigkeiten einschätzen, klinisch-praktische Fertigkeiten nach dem Studium zu beherrschen.
Klinisch-praktische Fertigkeiten sind patientennahe, manuelle und technische Fertigkeiten, als Ergänzung zu Notfall- und kommunikativen Kompetenzen [
]. Prozeduren bilden dabei einen Teilaspekt dieser klinisch-praktischen Fertigkeiten. Sie bezeichnen diagnostische oder therapeutische, eigenständige, an einem Patienten durchgeführte Aktivitäten, die manuelle Fertigkeiten erfordern, gehen aber über Fertigkeiten der allgemeinen körperlichen Untersuchung und rein interpretative Fertigkeiten hinaus. Prozeduren sind ein wesentlicher Bestandteil eines Weiterbildungscurriculums [
Ziel dieser Studie war es zu erheben, inwieweit Prozeduren bereits im Studium soweit erlernt wurden, dass sie von den ÄiW als selbständig durchführbar eingeschätzt werden.
2. Methoden
2.1 Fragebogen
In einer vorausgegangenen in Deutschland durchgeführten Studie wurde 2013 zu 89 Prozeduren erhoben, ob Allgemeinmediziner in Deutschland diese in ihrer eigenen Praxis durchführen [
]. Aspekte der Diskussion rund um Kompetenzstufen und den Zeitpunkt des Erlernens, die sich an die Vorstellung der Ergebnisse dieser Studie auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) 2013 anschloss [
Prozeduren in der Allgmeinmedizin (PIA) in Deutschland – eine Querschnittstudie. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 47. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. München, 12.-14.09.2013.
German Medical Science GMS Publishing House,
Düsseldorf2013
Diese Prozeduren werden von mindestens der Hälfte der Allgemeinärzte in Deutschland durchgeführt und sind stellvertretend für das breite Prozedurenspektrum in der Allgemeinmedizin ausgewählt worden [
]. Sie können den Bereichen Haut, Ohren, Nase, Genital-/Harntrakt, Kinder, Muskuloskeletalsystem, Wiederbelebungsmaßnahmen und apparative Diagnostik zugeordnet werden. Eine Übersicht ist in Abb. 1 dargestellt.
Die Teilnehmer wurden befragt, wie sie sich selbst in der Durchführung der Prozeduren einschätzen. Dazu konnten sie in Anlehnung an Mulder et al. eine 5-stufige Likert-Skala verwenden, beginnend mit „Kann ich nicht“, gefolgt von „Kann ich, wenn ich direkte Supervision habe“, „Kann ich, wenn ich bei Bedarf Supervision habe“, „Kann ich selbständig durchführen“, „Kann ich jemand anderem beibringen“ [
]. Schätzten sich die Teilnehmer sicher in der Durchführung der Prozeduren ein, d.h. sie wählten die Antwortmöglichkeiten „Kann ich selbständig durchführen“ oder „Kann ich jemand anderem beibringen“, wurden sie gebeten, anzugeben, wann sie diese Kompetenzstufe erlangten, „im Studium“ oder „während der Weiterbildung“. Der finale Fragebogen kann bei den Autoren angefragt werden.
Von November 2013 bis September 2014 wurde der Fragebogen an 328 Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin im Rahmen von Schulungsveranstaltungen der Verbundweiterbildungplus in Baden-Württemberg ausgegeben.
2.2 Analyse
Die deskriptive Auswertung erfolgte zunächst bezogen auf die Grundgesamtheit der Teilnehmenden. Des Weiteren wurden die Ergebnisse nach zeitlichem Abstand von der Ärztlichen Prüfung (ÄP) ausgewertet, um die Selbsteinschätzung der Teilnehmenden in Bezug auf den Abstand vom Studium vergleichen zu können. Dazu wurden drei Gruppen gebildet: Ärzte, deren ÄP bis zwei Jahre zurücklag, solche, deren ÄP drei bis fünf Jahre zurücklag, und solche, deren ÄP sechs Jahre oder länger her war.
Die rein deskriptiven Analysen erfolgten mit dem Statistikprogramm SPSS Version 22 (SPSS Inc., IBM).
2.3 Ethik
In der Korrespondenz vom 02.08.2012 mit der Ethikkommission des Universitätsklinikums Heidelberg wurde mitgeteilt, dass eine solche, anonyme Befragung keines Votums der Ethikkommission bedarf.
3. Ergebnisse
196 Ärzte in Weiterbildung (59,8%) gaben einen ausgefüllten Fragebogen zurück. Die Teilnehmer waren durchschnittlich 35 Jahre alt, weiblich und zu den größten Anteilen im 1. (27%) und 4. Weiterbildungsjahr (24%). Tab. 1 zeigt die soziodemographischen Daten der teilnehmenden Ärzte in Weiterbildung.
Tabelle 1Soziodemographische Angaben der Teilnehmer.
Von den angegebenen 17 Prozeduren wurden die fünf Prozeduren „Maskenbeatmung“, „Ohrenspiegelung“, „Defibrillation“, „Wunde nähen“ und „Ergometrie“ von mindestens der Hälfte der Teilnehmer als „Kann ich selbständig durchführen“ oder „Kann ich jemand anderem beibringen“ eingestuft. Mit 67,4% steht die „Maskenbeatmung“ dabei als selbständig durchführbare Prozedur an erster Stelle.
Die „Ohrenspiegelung“ ist die Prozedur, die am häufigsten (52,5%) bereits während des Studiums erlernt wurde. „Wunde nähen“ und „Maskenbeatmung“ nehmen mit rund 42% die Plätze zwei und drei ein. Bezogen auf die Grundgesamtheit der Teilnehmenden bedeutet dies, dass ein Viertel aller Teilnehmenden ÄiW die Prozedur „Ohrenspiegelung“ bereits als im Studium erlernt angaben, 23% aller Teilnehmenden die „Maskenbeatmung“ und 18% die Prozedur „Wunde nähen“.
„Aspiration einer Bursa“ ist die Prozedur, die am seltensten von den Teilnehmenden als im Studium erlernt angegeben wurde (0,5%), gefolgt von „Zehennagelteilentfernung“ (1,0%) und „Früherkennungsuntersuchungen“, „Jugenduntersuchung“ und „Ergometrie“ mit jeweils 1,5%. Nähere Angaben sind in Tab. 2 dargestellt.
Tabelle 2Häufigkeit der Angaben „Kann ich selbständig durchführen“ und „Kann ich jemand anderem beibringen“ sowie die Häufigkeit der Angabe, dass die Prozeduren „im Studium“ erlernt wurden.
Prozedur
„Kann ich selbständig durchführen“ oder „Kann ich jemand anderem beibringen“ N (%)
Die Angabe der Prozentzahl bezieht sich auf gemachte Angaben, sodass „Im Studium“ und „Während der Weiterbildung“ zusammen 100% ergeben. Fehlende Angaben finden hier keine Berücksichtigung.
Angabe „Im Studium erlernt“ bezogen auf die Grundgesamtheit der Teilnehmenden (N = 196) %
∧ Die Angabe der Prozentzahl bezieht sich auf gemachte Angaben, sodass „Im Studium“ und „Während der Weiterbildung“ zusammen 100% ergeben. Fehlende Angaben finden hier keine Berücksichtigung.
Die Auswertung aufgetrennt nach den Jahren seit ÄP ist in den Abb. 2 bis 4 dargestellt. Bezogen auf die Grundgesamtheit der Teilnehmenden in den einzelnen Gruppen sind nur die Häufigkeiten der Angaben „Kann ich selbständig durchführen“ und „Kann ich jemand anderem beibringen“ abgebildet, aufgetrennt nach der Angabe, wann die Prozedur erlernt wurde - im Studium oder während der Weiterbildung. Angaben, in denen sich ÄiW so einschätzten, dass sie die Prozedur selbständig durchführen konnten, ohne anzugeben, wann Sie die Prozedur erlernten, sind als „fehlende Angaben“ abgebildet.
Abbildung 2Häufigkeit der Angaben von ÄiW maximal zwei Jahre nach ÄP, dass eine Prozedur mit mindestens „Kann ich selbständig durchführen“ eingeschätzt wurde (Datenbeschriftungen der Säulen geben die absoluten Häufigkeiten wieder).
Abb. 2 zeigt die Angaben der ÄiW, die ihre ÄP vor maximal zwei Jahren hatten (N = 61). 39% dieser ÄiW haben „Maskenbeatmung“ bereits im Studium erlernt, 38% die Prozedur „Ohrenspiegelung“ und nahezu ein Drittel „Wunde nähen“. „Früherkennungsuntersuchungen“ sowie „Aspiration einer Bursa“ werden von keinem der ÄiW als selbständig durchführbar angegeben. „Jugenduntersuchung“ und „Zehennagelteilentfernung“ wurden nicht im Studium erlernt, „Abszessspaltung“, „Entfernen von Cerumen“ und „Anlegen einer Unterarmgipsschiene“ wurden von 3% der ÄiW dieser Gruppe als selbständig durchführbar im Studium erlernt.
Die zweite Gruppe, dargestellt in Abb. 3, bilden ÄiW, die ihre ÄP vor drei bis fünf Jahren absolviert haben (N = 52). Ein Viertel dieser ÄiW haben „Ohrenspiegelung“ bereits im Studium erlernt, 19% jeweils „Maskenbeatmung“ und „Wunde nähen“. Die Prozedur „Ergometrie“ ist die einzige Prozedur, die von keinem der ÄiW dieser Gruppe im Studium erlernt wurde. Jeweils ein AiW gab an, die Prozeduren „Abszessspaltung“, „Tamponieren der Nasenhöhle“, „Aspiration einer Bursa“ und „Endotracheale Intubation“ im Studium erlernt zu haben (2%), gefolgt von jeweils zwei ÄiW bei den Prozeduren „Zehennagelteilentfernung“, „Früherkennungsuntersuchungen“, „Jugenduntersuchung“, „Anlegen einer Unterarmgipsschiene“ und „Sonographie des Abdomens“ (4%).
Abbildung 3Häufigkeit der Angaben von ÄiW drei bis fünf Jahre nach ÄP, dass eine Prozedur mit mindestens „Kann ich selbständig durchführen“ eingeschätzt wurde (Datenbeschriftungen der Säulen geben die absoluten Häufigkeiten wieder).
Abb. 4 beinhaltet die Angaben der ÄiW, die ihre ÄP vor mindestens sechs Jahren durchliefen (N = 73). 14% dieser ÄiW haben „Ohrenspiegelung“ und „Maskenbeatmung“ bereits im Studium erlernt, 12% das Anlegen eines Kompressionsverbandes und jeweils 7% „Wunde nähen“ und „Blasenkatheter legen“. Die Prozeduren „Ergometrie“, „Aspiration einer Bursa“ und „Zehennagelteilentfernung“ wurden von keinem der ÄiW dieser Gruppe im Studium erlernt. Jeweils ein AiW gab an, die Prozeduren „Früherkennungsuntersuchungen“, „Jugenduntersuchung“, „Anlegen einer Unterarmgipsschiene“ und „Sonographie des Abdomens“ im Studium erlernt zu haben (1%), gefolgt von jeweils zwei ÄiW bei den Prozeduren „Defibrillation“ und „Endotracheale Intubation“ (3%).
Abbildung 4Häufigkeit der Angaben von ÄiW ab sechs Jahren nach ÄP, dass eine Prozedur mit mindestens „Kann ich selbständig durchführen“ eingeschätzt wurde (Datenbeschriftungen der Säulen geben die absoluten Häufigkeiten wieder).
Die vorliegende Studie gibt einen ersten Einblick, inwiefern sich ÄiW infolge ihres absolvierten Studiums in der Lage sehen, Prozeduren selbstständig durchführen zu können. Die Teilnehmer waren durchschnittlich 35 Jahre alt und mehrheitlich weiblich. Diese Stichprobe ist somit repräsentativ für die Teilnehmer am Programm Verbundweiterbildungplus in Baden-Württemberg [
Analyse und Verbesserung der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Die Verbundweiterbildungplus als normative Strategie gegen den Hausärztemangel in Baden-Württemberg [Habilitation].
Die Prozeduren „Ohrenspiegelung“, gefolgt von „Maskenbeatmung“ und „Wunde nähen“ sind die drei am häufigsten während des Studiums erlernten, bereits als selbstständig durchführbar eingeschätzten Prozeduren. Trotzdem schätzte sich selbst bei der am häufigsten benannten Prozedur des Ohrenspiegelns von allen Befragten lediglich jeder zweite teilnehmende AiW so ein, dass er es selbstständig durchführen könnte.
Die Prozeduren, die in dem Fragebogen erhoben wurden, decken sich mit einigen Prozeduren, die als klinisch-praktische Fertigkeiten im NKLM abgebildet sind. In diesem ist beschrieben, dass „diverse Verbände“ angelegt, die Otoskopie durchgeführt, ein Harnwegskatheter bei Mann und Frau angelegt und der Basic-Life-Support-Algorithmus, der die Defibrillation beinhaltet, angewandt werden können und dies selbstständig und situationsadäquat in Kenntnis der Konsequenzen bereits direkt nach dem Studium [
]. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass selbst ÄiW, die ihr Studium mit ihrer ÄP vor maximal zwei Jahren beendet haben, diese Anforderungen in der Selbsteinschätzung bezogen auf die Angabe „im Studium erlernt“ nur in 38% (Otoskopie), 16% (Blasenkatheter), 15% (Defibrillation) bzw. 8% (Kompressionsverband anlegen) der Fälle erfüllen. Bezogen auf die Anzahl aller Teilnehmenden und die Angabe „im Studium erlernt“ sind diese Ergebnisse noch einmal geringer: 24% Otoskopie, 11% Blasenkatheteranlage, 10% Kompression, 8% Defibrillation.
Im Konsensusstatement „Praktische Fertigkeiten im Medizinstudium“ von 2011 sollen zum Vergleich nach dem abgeschlossenen Studium Wundnaht, Ohrenspiegelung und Harnwegskatheteranlage bei Mann und Frau routiniert handwerklich gekonnt und situationsadäquat eingesetzt werden unter Kenntnis der Konsequenzen [
]. Weitere sieben Prozeduren sollen unter Aufsicht wenigstens einige Male durchgeführt worden sein. In den Ergebnissen unserer Studie zeigte sich, dass die Wundnaht nur von 33% der ÄiW, die ihr Studium vor maximal zwei Jahren beendet haben, als selbständig durchführbar im Studium erlernt angegeben wurde, bezogen auf die Gesamtzahl der Teilnehmenden nur 18%.
Die Zielsetzungen von NKLM und dem bereits länger bestehenden Konsensusstatement werden in der hier vorliegenden Selbsteinschätzung der Ärzte in Weiterbildung nicht erreicht. Einer der nächsten Schritte sollte zunächst sein, die Selbsteinschätzung von ÄiW mit einer externen Evaluation durch erfahrene Rater zu ergänzen. Sollten sich die Ergebnisse der Selbsteinschätzung in den Folgestudien durch externe Rater bestätigen, sollten die Bemühungen, praktische Fertigkeiten während des Studiums zu vermitteln, weiter intensiviert werden, um die im NKLM formulierten Ansprüche zukünftig erfüllen zu können.
Bereits 2007 publizierten Fischer et al. eine Studie, in der sich Studierende in verschiedenen Basisfertigkeiten, darunter auch Prozeduren wie Blasenkatheteranlage und Wundnaht, als unzureichend kompetent einschätzten. Viele Studenten verbesserten ihre Fertigkeiten in Famulaturen, in denen Prozeduren oft ohne Supervision und Feedbackgabe durchgeführt und daraufhin möglicherweise inkorrekt erlernt werden [
Die Bedeutung der prozeduralen Vermittlung bereits während des Studiums zeigt sich daran, dass Prozeduren, die häufiger bereits im Studium als selbstständig durchführbar erlernt wurden, zu den Prozeduren gehören, die auch insgesamt am häufigsten als selbständig durchführbar angegeben wurden. Der frühe Kontakt mit prozeduralen Fertigkeiten könnte eine sichere Durchführung begünstigen. Dazu passt, dass Prozeduren, die im NKLM wie auch im Konsensusstatement nicht erwähnt werden („Aspiration einer Bursa“ und „Zehennagelteilentfernung“), auch am wenigsten im Studium erlernt werden (0,5 bzw. 1%).
Ärzte, die im ersten oder zweiten Jahr nach ÄP an unserer Studie teilgenommen haben, schätzen sich nachvollziehbarerweise in weniger Prozeduren als sicher ein. In den Fällen, in denen sie sich als sicher einschätzen, geben Sie an, dass Sie es häufiger im Studium erlernt haben als ÄiW, deren Staatsexamen bereits länger zurückliegt.
Kruger und Dunning zeigten 1999, dass Teilnehmer ihrer Studien, deren Durchführungsfähigkeiten in der unteren Quartile lagen, sich nicht nur überschätzten, sondern sogar dachten, dass sie überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt hätten. Wurden initial inkompetente Teilnehmer ausgebildet, sodass sie Aufgaben kompetent durchführten, wuchsen auch ihre metakognitiven Fähigkeiten bezüglich ihrer Selbsteinschätzung, die daraufhin ihrem objektiven Kompetenzniveau näher kam [
]. Da wir in unserer Studie die Selbsteinschätzung der Teilnehmer erfragt haben, ist es durchaus möglich, dass besonders die, die gerade erst das Studium beendet haben, ihre Fähigkeiten überschätzen und der Meinung sind, Prozeduren im Studium erlernt zu haben. Werden Teilnehmer dann in der Weiterbildung durch weiteres Training in der Prozedurdurchführung in ihrer Kompetenz gestärkt, erfahren sie möglicherweise erst dann, dass sie Prozeduren entgegen ihrer damaligen Einschätzung nicht im Studium erlernt haben, wie sie es zunächst glaubten.
Besonders die Tatsache, dass die Durchführung von Prozeduren neben der reinen Ausführung auch die Kommunikation mit dem Patienten vor, während und nach der Prozedur beinhaltet, ist ein Aspekt, der in der medizinischen Ausbildung nicht immer realitätsnah vermittelt werden kann. Oft werden kommunikative und prozedurale Fähigkeiten nicht gemeinsam gelehrt [
]. Während kommunikative Fähigkeiten an Simulationspatienten geübt werden können, werden Prozeduren naturgemäß an einem Phantom geübt. Diese Form des Lernens führt ein Sicherheitsgefühl in der Beherrschung der Prozeduren herbei, welches sich im klinischen Alltag als ausführender Arzt am realen Patienten unter Umständen nicht hält und so die zurückhaltende Selbsteinschätzung der in ihrer Weiterbildung weiter fortgeschrittenen ÄiW in Bezug auf im Studium erlernte Prozeduren erklären könnte.
Skills-Lab-Formate, welche Studierenden eine sichere Lernumgebung bieten, um technisch-prozedurale Fähigkeiten zu erlernen, werden zunehmend umfassender und vor allem auch realer gestaltet durch Anpassung der Umgebung [
]. Auch diese bewusstere Vermittlung von klinisch-praktischen Fertigkeiten könnte begünstigen, dass ein Studium, welches innerhalb der letzten zwei Jahre abgeschlossen wurde, Prozeduren so vermittelt, dass sie häufiger als selbständig durchführbar angegeben werden, als ein Medizinstudium, welches vor zehn Jahren beendet wurde.
In Studien wurde gezeigt, dass die Selbsteinschätzung in der Prozedurdurchführung von der bisherigen Durchführungshäufigkeit abhängt [
]. Damit zeigt sich auch, wie wichtig Zeit und praktische Übungsmöglichkeiten sind. In welchem Verhältnis Skills-Lab-Unterricht zu praktischer Tätigkeit in der stationären und ambulanten Versorgung stehen sollte, um Prozeduren selbständig beherrschen zu können, sollte in zukünftigen Studien thematisiert werden.
Weiterbildungsbefugte Ärzte in Bayern vermissen bei Berufsanfängern die Fähigkeiten, erlerntes Wissen umzusetzen, Zusammenhänge zu erkennen, „handwerkliche Fertigkeiten“ und das Vertrauen auf die eigene Befunderhebung [
]. Diese und die hier vorgestellten Ergebnisse, welche die fehlenden handwerklichen Fertigkeiten unterstreichen, könnten auf den Bedarf für ein Mehr an Basiskompetenzvermittlung und ein Weniger an hochspezialisierter Wissensvermittlung während des Studiums hinweisen.
4.1 Stärken und Schwächen
Es konnte mit 196 (59,8%) teilnehmenden Ärzten ein guter Rücklauf erreicht werden. Die Teilnehmer sind Teil eines strukturierten Programms, welches ihre Weiterbildung begleitet, sodass sie in ihren persönlichen Charakteristika und Fähigkeiten möglicherweise nicht einer repräsentativen Stichprobe aus allen ÄiW zum Facharzt für Allgemeinmedizin entsprechen. Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Querschnittstudie. Wir vergleichen verschiedene Jahrgänge miteinander, die sich aus unterschiedlichen Teilnehmern zusammensetzen, wodurch die Vergleiche durch Unterschiede in Teilnehmercharakteristika weniger aussagekräftig sein können. Darüber hinaus wurde die Selbsteinschätzung der Teilnehmer nicht extern validiert, sodass die Einschätzung der Kompetenz in der Durchführung auch stark von anderen Faktoren wie zum Beispiel Selbstsicherheit abhängt. Ein Recall-Bias, vor allem in der Frage, wann welche Prozedur erlernt wurde, ist nicht auszuschließen. Die Teilnehmenden konnten lediglich angeben, ob sie die Prozedur im Studium oder während der Weiterbildung erlernt haben. Durch diese Auswahl ist auch die hohe Rate an fehlenden Angaben zu erklären. Einige Teilnehmer ergänzten zusätzlich, dass Sie Prozeduren in einem Nebenjob, während des Zivildienstes oder in einer vorhergehenden beruflichen Ausbildung erlernt hätten. Diese anderen Möglichkeiten des prozeduralen Lernens und Übens sollten nicht vernachlässigt werden, insbesondere bei Prozeduren, die auch von anderen Gesundheitsberufen, z.B. mit pflegerischen Charakter durchgeführt werden (Kompressionsverband anlegen, Blasenkatheter legen) oder in der Notfallmedizin auch durch Rettungssanitäter oder ggf. –helfer geübt werden (Maskenbeatmung, endotracheale Intubation, Defibrillation). Die Hälfte der Medizinstudierenden hat bereits vor dem Studium praktische Erfahrungen im medizinischen Bereich gesammelt [
Genauso wenig wie nach beruflichen Vorerfahrungen gefragt wurde, wurden auch die Studienorte sowie die Wahlfächer innerhalb von Famulaturen und dem Praktischen Jahr nicht berücksichtigt. Die Kenntnis dessen könnte Aufschlüsse darüber geben, warum einige Prozeduren als mehr oder weniger beherrscht angegeben werden.
Die hier vorliegende Studie beschreibt mit den abgefragten Prozeduren nur einen Ausschnitt der Fertigkeiten, die es innerhalb des Studiums zu erlernen gilt. Aussagen über die Beherrschung weiterer Kompetenzen und Fertigkeiten können nicht getroffen werden.
5. Schlussfolgerungen
Die vorgegebenen Prozeduren wurden in keinem Fall ausreichend während des Studiums erlernt. Es bleibt abzuwarten, inwiefern der NKLM einen Anstoß gibt, die Lehre in der Vermittlung prozeduraler Fertigkeiten auszubauen und zu vertiefen.
Danksagungen
Ein ganz besonderer Dank gilt den Ärztinnen und Ärzten der Verbundweiterbildungplus in Baden-Württemberg, die zahlreich an unserer Studie teilnahmen und diese möglich machten.
Finanzierung
Diese Studie erhielt keine finanzielle Förderung von Leistungsträgern in öffentlichen, gewerblichen oder gemeinnützigen Sektoren.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur
Bundesministerium für Gesundheit. Approbationsordnung für Ärzte.
Finally finished! National Competence Based Catalogues of Learning Objectives for Undergraduate Medical Education (NKLM) and Dental Education (NKLZ) ready for trial.
Prozeduren in der Allgmeinmedizin (PIA) in Deutschland – eine Querschnittstudie. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 47. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. München, 12.-14.09.2013.
German Medical Science GMS Publishing House,
Düsseldorf2013
Analyse und Verbesserung der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Die Verbundweiterbildungplus als normative Strategie gegen den Hausärztemangel in Baden-Württemberg [Habilitation].